Freitag, 16. Februar 2024

.mama mia | leseprobe

Eine schnodderschnauzige Erzählung Ã¼ber Liebe, Freundschaft und Verrat.

Träume werden manchmal wahr. Auch die schlechten. Und dann schickt dir das Schicksal einen Freund.

Mia muss am eigenen Leib schmerzlich feststellen, dass Blut nicht immer dicker als Wasser ist und vieles anders als es scheint. Doch wer fällt, lernt wieder aufzustehen und sein Leben neu anzupacken.

Das beginnt mit einem außergewöhnlichen Babysitter, geht über eine Veränderung im Job und hört beim Liebesleben der besten Freundin noch lange nicht auf.

Dann ist da noch Arne, der Mias Gefühlswelt in ungeahnte Höhen und Tiefen treibt.

Unbemerkt an ihrer Seite geht bereits der Mann fürs Leben...

Man stelle sich mal vor...

...ein lauer Sommertag. Warmer Wind bläst mir um die Nase und bringt die Blätter in den Bäumen zum Rascheln. Der nächtliche Regenschauer verhilft der Natur zu neuer Kraft. Die Sonne nimmt eine kleine Auszeit und legt sich hinter zarten Schäfchenwolken schlafen. Ich atme tief ein und genieße das aufgeweckte Gezwitscher der Jungvögel. Kurz gesagt: Nach wochenlanger Hitze tut es gut, zur Abwechslung mal nicht im eigenen Saft zu schmoren, sich dabei wie ein Grillhähnchen zu fühlen und sämtliche Energie über die Poren auszuscheiden.

Ich bin Mia. Pseudophilosophin (eine der übelsten Sorte), zweifache Mutter, Ehefrau, berufstätig, ehrenamtliche Psychotherapeutin – und gerade auf dem Weg zur Wohnung meiner Eltern, um noch einmal kurz durchzuwischen, bevor sie aus ihrem sechswöchigen Australienurlaub zurückkehren.

Noch einmal: Ich bin Mia. Tochter, Mutter, Ehefrau, Schwester.

Und Männer sind Schweine...


KAPITEL eins

Männer sind Schweine – Frauen aber auch. Um hier mal den ultimativen Frauenversteher Mario Barth zu zitieren. Ein repräsentatives Beispiel tummelt sich gerade im Gästebett meiner Eltern.

Ich stehe wie festgenagelt in der Diele und verfluche gedanklich die Schweißfüße meines Vaters. Warum, in Gottes Namen, haben sich bei mir nicht seine athletischen Gene durchgesetzt? Stattdessen neige ich zu Übergewicht und frühzeitig ergrautem Haar. Und Schwitzattacken unter den Fußsohlen...

Vorsichtig sendet mein Hirn Signale an die Beinmuskulatur und löst den Bewegungsreflex aus:  Den rechten Oberschenkel spannen, das dazu passende Knie Millimeter um Millimeter nach vorne ausrichten, bis sich die Sohle zaghaft vom Laminat löst. Rrrtsch! Es dröhnt in meinen Ohren, als ziehe man einen fabrikneuen Klettverschluss der Größe eines Bundesligaspielfelds von einem deutsch-demokratischen Polyesteranzug. Mein Knöchel knackt. Erschrocken halte ich die Luft an. So lange, bis ich rosa Schweinchen mit grünen Punkten Samba tanzen sehe. Mir wird schwindelig und ich stütze mich am Türrahmen ab.

„Was machst’n dich schon wieder so verrückt?“, würde mein Mann, seines Zeichens Fachkraft für Heizung und Sanitär, in dieser Situation sagen. „Jetzt wart’s doch erst mal ab!“

Ja. Genau das würde er jetzt sagen – wäre er nicht just in diesem Moment damit beschäftigt, sein Rohr zu verlegen. Im lilaseidenen, eicherustikalen Gästebett meiner Eltern. In meiner Schwester. Meiner kleinen Schwester Pia.

Ich koche auf allen Kesseln und will in einer plötzlichen Gefühlsaufwallung ordentlich Dampf ablassen, als ich in den Raum trete und feststellen muss, dass meine Anwesenheit gar nicht zur Kenntnis genommen wird. Hallo? Außer mir noch jemand hier?

Starr richten sich meine Augen auf die beiden verschwitzten Körper, die sich schier in Ekstase vögeln. Meine Schwester wippt auf und ab, wirft immer wieder den Kopf in den Nacken und fächert ihr langes, blondes Haar mit beiden Händen über ihre makellosen Schultern.

Mein Ehemann brummt wie Bruno, der Bär, und gibt in regelmäßigen Abständen Laute von sich, als klemme ihm Speedy Gonzales zwischen den Arschbacken. Er wirft die Arme von sich und krallt seine Hände in die umliegenden Stofftiere, denen das blanke Entsetzen in den Knopfaugen geschrieben steht. Ich hoffe bloß, mir bleibt ein gekeuchtes Come on, baby, sit on my face and sing the La Bamba! erspart.

Doch das Glück ist mir nicht hold (was habe ich auch erwartet?). Ein traurig zerknautschter Plüschhund fliegt mir ins Gesicht, und noch bevor ich die Fussel und Staubflusen aus meiner Nase gekräuselt habe, klemmt der erhitzte Kopf meines Mannes zwischen Pias völlig orangenhautfreien Oberschenkeln.

Wie war das noch mal mit den beiden Jägern, von denen der eine sagte: „Wenn ich mal meine Frau beim Fremdgehen erwische, knalle ich ihr den Kopf weg. Und dem Typ das Gemächt!“, worauf der andere (den Blick durchs Fernglas auf eine Waldlichtung gerichtet) antwortet: „Wenn du dich beeilst, reicht ein Schuss!“?

Warum kann ich gerade jetzt nicht darüber lachen?

Ach ja!

Zwischen Ahhhs, Ohhhs und Jaaas vernehme ich immer wieder akuter Atemnot ähnelnde Hmmms und ein Geräusch, als würde sich ein Milchshake seinem vorbestimmten Ende nähern. Meine Brillengläser beschlagen beinahe bei ihrem Anblick. Ich bin weiß Gott nicht prüde. Und es liegt auch sicher nicht an den Praktiken, die mir zugegebenermaßen nicht fremd sind. Wobei... Nicht fremd heißt in diesem Fall, dass ich Sex dieser Art nicht täglich betreibe. Oder aber, dass ich Sex nicht täglich betreibe. Gut. Um es ganz genau zu sagen: Dass ich schon lange keinen Sex mehr betreibe.

Mir wird schlecht.

Gerade als Pia sich gewohnt grazil, anmutig und leicht wie eine Feder windet, um Florians Zollstock mit ihren permanenttätowierten Lippen zu verwöhnen, fällt ihr Blick auf die japsende Gestalt im Türrahmen.

„Miiiaaa!“, stößt sie beinahe hysterisch hervor.

„Mia?“, nuschelt die Stimme aus ihrem Genitalbereich.

„Mi-a!“, gibt sie dem Wort mit einem festen Schlag auf Florians stramme Waden Nachdruck.

„Mia!“, keucht dieser und sitzt nur Sekundenbruchteile später aufrecht im Bett.

Pias Beine liegen, nun sinn- und hilflos, auf seinen Schultern. Einen Moment fürchte ich, ihr Rückgrat könnte in dieser Position brechen und will instinktiv zu Hilfe eilen.

Hallo? Sie ist meine kleine Schwester! Da wird man sich ja wohl Sorgen machen dürfen.

Doch ich halte inne. Der Druck auf meiner Brust nimmt mir die Luft zum Atmen. Ich atme tief ein, bin aber kaum mehr imstande, den Sauerstoff aus eigener Kraft wieder auszustoßen. Zittrig wühle ich in den Taschen meiner Jogginghose, Größe zweiundvierzig, nach dem Asthmaspray (der Himmel weiß, wieso ich es ausgerechnet heute eingesteckt habe).

Sag jetzt bloß nicht: Es ist nicht das, wonach es aussieht!

„Mia“, hebt Florian abwehrend die Hände. „Es ist nicht das, wonach es aussieht!“

Er hat es gesagt!

Mir ist, als falle nicht nur gleich meine Lunge, sondern auch ich selbst in mich zusammen.

Pffft! Ich nehme einen Hub des bronchienerweiternden Cortison-Sauerstoff-Gemisches, schließe die Augen und halte sieben Sekunden die Luft an, bevor ich langsam durch die Nase ausatme.

Nase. Meine Nase. Etwas knubbelig, nicht wirklich zu groß, halt auch nicht unbedingt klein. Florian zog mich schon zu Beginn unserer Beziehung gerne damit auf. „Stupsnäschen“ hatte meine Omi sie immer genannt und mir zärtlich mit dem nach Maiglöckchen und Streuselkuchenteig duftenden Zeigefinger auf das Riechorgan getippt. Ich freute mich. Damals. Denn meine Nase gehörte zu meinen Pausbäckchen und meinen kugelrunden, dunkelbraunen Augen mit den langen, dichten, schwarzen Wimpern. Und das fanden die Erwachsenen süüüß! Fünfzehn Jahre später habe ich noch immer Pausbäckchen und große, dunkelbraune Augen mit langen, dichten, schwarzen Wimpern. Doch mein olfaktorisches Sinnesorgan ist inzwischen zur „Kartoffelnase“ mutiert. Sagt zumindest Florian. Aber er ist eigentlich der Einzige, der das sagt.

Pia hat sich mit einer flinken Bewegung aus ihrer orthopädisch unvorteilhaften Position befreit und sitzt nun, die Beine angewinkelt und durch das zerwühlte Laken nur notdürftig bedeckt, dicht neben meinem Mann, ihrem Schwager. Ihre Haare sind zerzaust und auf den Schultern funkeln Schweißperlen wie Regentropfen auf feinstem Meißner Porzellan. Ohne es zu wollen, erinnert sie mich an das Bild in unserem Badezimmer:

Marilyn Monroe im weißen Ballerinakleid – wie sie mit der Kamera flirtet, den Verschluss am Rücken halb geöffnet, die Brust unauffällig mit Hilfe des rechten Unterarmes in eine ansehnliche Position gerückt. Die Träger krabbeln langsam, wie kleine Raupen auf frisch rasierter und mit hochkonzentrierter Pflegecreme behandelter Haut, über ihre Schultern...

Zugegeben: Hier ist viel Fantasie im Spiel. Aber wer kann, der kann.

Zwei große, blaue Augen blicken um Verständnis heischend zu mir auf.

Mein Gesicht nimmt Züge an, die ich selbst nicht definieren kann. Ich vermeide es grundsätzlich, in solchen Augenblicken in den Spiegel zu schauen. Und das nicht nur wegen des blöden Gesichtsausdruckes.

Die Bilder, die zusammengesetzt wie ein Daumenkino zu kleinen Filmen mutieren und durch meinen Kopf huschen, sind oft mehr als Mensch zu sehen vermag. Just blendet sich folgender Spot ein:

„Pfff.“ Ich atme scharf aus und sehe vorwurfsvoll auf sie herab.

Pia schiebt ihre Unterlippe nach vorn, ihr Kinn zittert. Sie presst eine Träne aus dem rechten Auge. Die wohlgeschwungenen Augenbrauen verformen sich dramatisch und ihre Stirn liegt in verzweifelten Falten. „Och, Mennooo...“

„Nein“, stampfe ich kurz mit dem Fuß auf und muss mich von ihr abwenden. „Nein, Pia. Dieses Mal nicht!“

„Miii-aaa“, schnurrt sie wie eine Katze vor der frisch gezapften Kuh.

Mein Herz krampft.

„Büddeee!“

„Nee!“

„Aber der gefällt mir doch so gut“, fleht sie und fügt leise hinzu: „Ich brauch den unbedingt!“

Ich seufzte.

„Kriegst ihn auch wieder zurück.“ Sie hat Blut geleckt. „Frisch gewaschen und ohne kaputt gemacht. Versprochen!“

Meine Schultern verdünnisieren sich und hängen nun jenseits von Gut und Böse.

Pia hat es geschafft. Sie hat es wieder einmal geschafft.

Aber hier geht es nicht um einen pinkfarbenen Angorapullover. Hier geht es um meinen Mann, dem Vater meiner Kinder. Es geht um Vertrauensbruch. Es geht um meine Schwester. Und es geht um...

Was, um alles in der Welt, haben die beiden mit der Bettwäsche gemacht?

„Was, um alles in der Welt, habt ihr mit der Bettwäsche gemacht?“

Ich hechte nach vorn, ganz zum Entsetzen des vermeintlichen Liebespaares, und inspiziere den zartlila Seidenstoff. Abgesehen von den vielen, ihre eigene Geschichte erzählenden Falten und verräterisch eingetrockneten sowie noch frischen Spermaflecken, zieht sich ein Riss durch das Gewebe, der etwa ein Drittel des gesamten Stoffes misst.

„Spinnt ihr?“

Pias Hand streckt sich nach meiner aus. Sie sendet flehentliche Signale. „Bitte, Mia, lass dir erklären...“

Doch mein Geist ist keinesfalls auf Empfang gestellt. „Ihr habt sie wohl nicht mehr alle“, brause ich auf und habe nur einen einzigen Gedanken: „Die habe ich Mama und Papa zum zweiunddreißigsten Hochzeitstag geschenkt! Wisst ihr eigentlich, wie teuer das Bettzeug war? Beim Exquisite Couché zahlst du ja allein für den Namen schon fünfzig Euro!“

„Mia?“ Florians Augen richten sich irritiert an Pia.

Doch auch sie sieht mich nur ratlos an.

 „Hm.“ Ich schnaube fest aus und verlasse entschlossen den Tatort.

  

KAPITEL zwei

In diesem Zusammenhang fällt mir ein Witz ein. Man beachte die Doppeldeutigkeit – zumindest in meiner Situation:

Ein Paar, beide achtundsiebzig, beim Sextherapeuten. Der Arzt fragt, was er denn für sie tun könne. Opi antwortet: „Würden Sie uns beim Sex zuschauen?“, worauf der Arzt etwas verdutzt dreinschaut, jedoch zustimmt. Nachdem das Paar seinen Liebesakt beendet hat, erklärt der Arzt: „Es ist nichts Außergewöhnliches bei Ihrer Art Sex festzustellen“ und verlangt fünfzig Euro für die Sitzung. In den darauffolgenden Wochen vereinbart das Paar weitere Termine, hat Sex ohne Probleme, zahlt und geht. Irgendwann fragt der Arzt: „Was genau versuchen Sie eigentlich bei mir herauszufinden?“ und der Mann antwortet: „Wir versuchen gar nichts herauszufinden. Sie ist verheiratet und wir können nicht zu ihr. Ich bin verheiratet, also können wir auch nicht zu mir. Das Holiday Inn nimmt neunzig Euro für ein Zimmer, das Kempinski hundertundacht Euro. Wir machen es bei Ihnen für fünfzig Euro und bekommen siebzehn Euro Zuschuss von der AOK.“

Ich sollte meine Krankenkasse wechseln. Haha! Ich lach mich tot...

Die nachfolgenden Minuten bin ich nicht mehr in der Lage, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

Das ist ein Traum! Das ist alles nur ein böser Traum. Aber einer, den ich schon mal geträumt habe. Vor ein paar Wochen erst stand ein Adonis ohne Gesicht vor mir. Schlank, durchtrainiert und an den passenden Stellen tätowiert. Er liebte die kleinen (oder großen, ist doch alles Ansichtssache) Speckrollen um meinen Bauch und ließ seine Finger sanft durch mein Haar gleiten. Die einzelnen, weißen Strähnen auf meinem Kopf, die frech in alle Himmelsrichtungen standen, als hätte ein Spatz sein Nest darin gebaut, zauberten ein Schmunzeln auf seine Lippen.

Die Tatsache, dass ein Adonis ohne Gesicht in meinem Traum wundervolle Lippen hat, lassen wir hier mal außen vor.

Zärtlich küsste er – und das ist enorm wichtig! – meine Nase, bevor er mir mit sanfter Gewalt die Kleider vom Leib riss.

Moooment! Das waren Kleider, keine sündhaft teure, zartlila Seidenbettwäsche.

Verdammt!

Verdammt! Verdammt! Verdammt!

Wie kann Florian mir das nur antun? Wie kann Pia, meine Schwester, mir das nur antun?

Endlich marschieren die Gedanken an ramponierte, zartlila Bettwäsche aus meinem Großhirn und machen Platz für jene, die von nackten Tatsachen geprägt sind. Ich schließe und öffne meine Augen im Rhythmus des Sekundenzeigers. Doch nichts lässt die Bilder verschwinden. Sie rauschen durch meinen Schädel, ziehen schmerzhaft übers Herz und lassen sich in meinen Gliedern nieder. Dort mutieren sie zu Selbstzweifeln.

Was habe ich falsch gemacht? Ich war doch immer für sie da?

 Als Florian und ich uns kennenlernten, war ich bereits seit fünf Jahren in einer langweiligen, aber gefestigten Beziehung.

Colin.

Grundsolide, souverän und vorausschauend. Ein Einsneunzig-Hühne, stattlich gebaut (bis in die untersten Regionen) und auch sonst ziemlich ansehnlich. Im Job hatte er es bereits weit gebracht, mit Ehrgeiz, Sachlichkeit und einem IQ, der mir ständig das Gefühl gab, beim Kreuzworträtsel weniger Punkte als Verona Poth zu erreichen. Colin war Mannschaftskapitän und führte jedes Spiel mit eiserner Disziplin an. Und die machte sich bezahlt. Die Elf war erfolgreich wie nie, die Jungs auf dem Höhenflug – und die Mädels mit. Gleichwohl war mein Colin auch ein richtiger Mister Charming. Wie demütigend muss es für ihn gewesen sein, wegen eines Greenhorns das Feld zu räumen...

Florian.

Ich erinnere mich noch genau an unsere allererste Begegnung:

Es war an einem Tripple-L-Day: Labern, Lästern, Läppern. Auf gut Deutsch: Sonntag auf dem Sportplatz. Während der männliche Teil unserer Lebensgemeinschaften ihrem Spieltrieb nachgibt und auf dem Platz Muskelfaser-, Bänder- oder Kreuzbandriss riskiert, stehen die Weiber an der Bande und untermauern das Klischee der typischen Rollenverteilung: Sie kommunizieren. Kein Gerücht, das nicht genauestens auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft, keine noch so unrelevante Lebenserfahrung, die nicht wichtiggeredet, keine Beziehungskrise, die nicht konkretisiert und diskutiert wird, und keine Neuerscheinung, die nicht kollektiv inspiziert, beurteilt und bestenfalls verbal zerrissen wird. Was den Herren der Schöpfung ihr Stammtisch, ist uns Frauen der Sportplatz. Denn wenn diese nach dem Spiel (wie ging’s eigentlich aus?) unter die Dusche staksen, haben wir bereits die erste (na, mindestens!) Runde Cola-Rotwein hinter uns. Während meiner aktiven Fußballerfrauenzeit vermied ich es stets, wichtige Termine, wie ärztliche Untersuchungen oder Familienbesuche, auf einen Montag zu legen.

An jenem Sonntag schließe ich mich recht übellaunig dem Pulk Lästerschwestern an. Kurz zuvor befand ich mich noch in einer hitzigen Diskussion mit meiner Mutter, weil ich nicht gewillt war, Pia meinen brandneuen VW Golf für eine Spritztour nach Berlin zu borgen. Ich kenne meine Schwester. Gerade mal achtzehn. Ihrer Ansicht nach benutzt man den Innenspiegel zum Nachschminken, den linken Außenspiegel zur Kontaktaufnahme mit dem Hintermann und am Schaltknüppel lässt sich hervorragend die laszive Feinmotorik trainieren.

„Na? Was’n mit dir los? Warum ziehst’n so’n Gesicht?“, werde ich schnatternd begrüßt.

„Guten Morgen auch“, knurre ich und krame in der Tasche nach meinen Zigaretten. Mist! Die liegen in meinem Auto – und das ist gerade unterwegs nach Berlin. „Muss mir erst Kippen holen“, entschuldige ich mich und stakse zurück zum Eingang.

Und genau dort kommt mir ein junger Mann, Typ David Beckham (nur weniger metrosexuell), freundlich lächelnd entgegen. Er hat seine Sporttasche geschultert und ich spüre, wie sein Blick mich fixiert. „Hi!“

„H-h-hi!“, holpere ich. Ein kräftiger Energiestrom geht von ihm auf mich über, als er beim Vorbeigehen meine Schulter streift. Verwirrt sehe ich ihm nach.

Das üblicherweise unterhaltsame „Weißt du schon?“ und „Haste nicht gesehen?“ interessiert mich plötzlich nicht mehr die Bohne. Ich habe nur noch Augen für den durchtrainierten, blonden Stürmer. In diesem Moment hat er mein Herz im Sturm erobert. Was dann folgt, ist jedoch eher ein Tsunami der Gefühle. Ein ganzes Jahr lang verzehre ich mich nach ihm, träume mich in seine Arme und verfluche meine Sehnsucht nach dem Mann, der neun Jahre jünger ist als ich.

Mein emotionaler Zustand bleibt natürlich auch Colin nicht verborgen. Wir streiten immer häufiger. Mehrere Versuche, unsere Beziehung zu kitten, scheitern kläglich. So verliert selbst er irgendwann die Geduld und resigniert. Nach einem weiteren, verbalen Schlagabtausch löst er mit den Worten „Bis morgen Abend bist du ausgezogen!“ die Verlobung.

Unsere Trennung breitet sich dank Colins überraschenderweise wenig solidem, dafür umso frustrierteren Mitteilungsdrang auf der Kirmes aus wie ein Lauffeuer. An diesem Abend suche ich Trost und finde ihn. Zunächst im Kreise meiner Freunde und reichlich Alkohol. Später in Florians Armen und anschließend seinem Bett.

Das war der Beginn unserer Beziehung...

Sicher war es damals nicht einfach: Florian, inzwischen leichtsinnige zwanzig Lenze, studiert gerade im fünftausendsten Semester, oder so. Und hat mindestens genauso viele Fächer belegt. Wirtschaftswissenschaft, zum Beispiel. Das hat sich richtig gelohnt. Jedenfalls weiß er noch heute, in welcher Wirtschaft es das süffigste Weizenbier gibt. Oder Psychologie. Muss. Schließlich sollte man auf jeden Kunden vorbereitet sein. Der Himmel weiß, welch perverser Psychopath mit Mutterkomplex dein Geschäft aufsucht, um ein Bidet zu erwerben, in welchem er seinen vorzugsweise weiblichen Elternteil nach einer hitzigen Diskussion um die Größe der Kidneybohnen im freitäglichen Eintopf in einer Nacht- und Nebelaktion ertränken kann? Mal ganz zu schweigen von diesen vielen Norman Bates’, die sich mit undurchdringlichem Blick bei der Azubine nach reißfesten Duschvorhängen erkundigen. Nicht auszudenken, wenn man hier keine Menschenkenntnis besitzt. Marketing war nicht ganz so Florians Stärke. Noch heute argumentiert er mit verkniffenem „Ich habe lesen gelernt, lern du mal schreiben“, um sich vor dem Einkauf zu drücken. Ich ging sogar schon so weit, sämtliche Lebensmittel in unserem Haushalt abzulichten. Auf unserem Küchentisch ging es zu wie auf einem Catwalk. Da tummelten sich WC-Steine zwischen Orangen-Universal-Reiniger und Kölln Schoko Müsli. Der Würfelzucker sah richtig süß aus zwischen all den Fruchtzwergen und Kinder-Riegeln. Und die Funny Chips – Mann, waren die scharf! Nur das Essig blickte etwas sauer drein. Dank moderner Technologie und mithilfe eines illegal runtergeladenen Fotobearbeitungsprogramms, besaß ich bald schon kistenweise Lebensmittel in Papierform, ausgestattet mit Anzahl und ungefährem bis teilweise detailliertem Standort im Supermarkt unseres Vertrauens. Meines Vertrauens. Denn Florian hat ihn bis heute nicht einmal von außen gesehen. „Mensch, musst du Zeit haben“, beäugte er abschätzig die Einkaufshilfe. Seither findet meine Kreation seine Verwendung im Kinderzimmer, als kommerzielles Memory. Für Biologie konnte er schon erheblich mehr Begeisterung aufbringen. Hat ja im weitesten Sinne auch mit Sanitär zu tun. Finde ich. Das, was letztendlich – oder in manchen Fällen auch hoffentlich – im Klo landet, muss ja schließlich auch irgendwo herkommen, nicht wahr?

Florians Vater ist selbständiger Dienstleister im Sanitärbereich. Röööhrich. Gass. Wasser. Scheisä. Auf jeden Fall verdient er damit schon seit fast einem halben Jahrhundert sein Geld. Gekackt wird schließlich immer. So ließ er sich den Wissensdurst seines einzigen Sohnes auch etwas kosten. Wolf-Claudius entspricht meines Erachtens sowieso nicht dem üblichen Naturell eines ehrgeizigen Geschäftsmannes. Obwohl ich manchmal den Verdacht hege, er treibt gerade wegen seiner charmanten Zurückhaltung die Kaufkraft seiner Kunden in die Höhe. Auf jeden Fall nahm er gelassen hin, dass Florian mich, gerade mal ein Dreivierteljahr nach der Kirmes, vor den Altar schleppte. Bereits im vierten Monat mit den Zwillingen schwanger. „Doppelt gemoppelt hält eben besser“, flüsterte er mir zu fortgeschrittener Stunde und ungewohnt hohem Alkoholkonsum beim Wiener Walzer opavorfreudig ins Ohr. Er lächelte sogar noch, als ich ihm Sekunden später Spaghetti Bolognese mit Vanillesoße auf die Schulter kotzte.

Die ersten Monate unserer Beziehung waren aufregend. Richtig, richtig aufregend! Sex, Drugs and Rock 'n' Roll. Na ja, nicht ganz so heftig. Dafür Feten, Sex und pures Leben. Bei uns ging dermaßen die Post ab, dass selbst der abgeklärteste Briefträger rot wurde. Und dass ich neun Jahre älter bin als er, schien Florian auch nie zu stören. Im Gegenteil, es machte ihn richtig an. Er profitierte von meiner Erfahrung (in wirklich allen Bereichen) und ließ sich nur allzu gerne bemuttern. Dabei ruhte er sich stets auf meiner Nachsicht aus. Nach Kimi und Finns Geburt habe ich mein Bedürfnis nach Freiheit und Feiern zu ihren Gunsten zurückgestellt, Florian dieses Vergnügen weiterhin gegönnt.

War das schon der Anfang vom Ende?

1 Comments:

  1. Schweissfüsse sind wirklich nicht lustig. Das fühlt sich nicht nur unbehaglich an, sondern kann auch zu Hautproblemen führen. Bei der Beschreibung kann man richtig mitfühlen wie es sich anfühlt. Und man hat ja nicht immer Socken mit dabei, besonders keine Bambussocken, die bei dem Problem vielleicht Abhilfe schaffen könnten.

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