Und glaube nicht, du kannst den Lauf der Liebe lenken.
Es gibt Tage, da wünscht man sich, im Bett geblieben zu sein. Und doch verändern sie dein Leben so, dass du es dir gar nicht mehr anders vorstellen möchtest. Ohne Action und trotzdem mit zahlreichen blauen Flecken. Auf Körper und Seele.
Lulu verliert zwei Jobs, einen Traum und ihr Selbstwertgefühl. Was sie bekommt, ist ein emotionales Jo-Jo, wahre Freundschaft und eine intrigante Widersacherin. Das Leben wäre ja auch sonst langweilig.
Die ehemalige Lektorin lebt mit ihrem Ex und dessen neuer Liebe unter einem Dach und findet ihre Bestimmung als Moderatorin beim Radio. Und Sam, der buchstäblich mit einem Knall in ihr Leben tritt. Der jedoch steht zwischen zwei Frauen und hat allerlei Mühe, die richtige Entscheidung zu treffen. Wie gut, dass es Freunde wie Gretchen und Oliver gibt, die dabei gerne behilflich sind.
KAPITEL eins
Und
glaube nicht, du kannst den Lauf der Liebe lenken,
denn
die Liebe, wenn sie dich für würdig hält,
lenkt
deinen Lauf.
Khalil Gibran.
Der Morgen lief ganz gut. Dann bin ich aufgestanden.
Ich erwache tiefenentspannt und durchaus
befriedigt. Das war mit Abstand der geilste Sex seit dem Einsetzen meiner
Periode. Und mit der ist es angesichts meines Jahrgangs schon weit her. Sehr
weit.
Mit geschlossenen Augen sauge ich die
Erinnerung der letzten Nacht tief ein. Ein perfekter Cocktail aus Kardamon,
Patchouli und einem Hauch Bitterorange. Oder...? Ist das etwa Hundekacke?
Mein Radiowecker, ein Kind der frühen
Achtziger, hat sich in alter Gewohnheit verselbständigt. Exakt siebenunddreißig
Minuten vor der programmierten Alarmzeit und in eigenwilliger Lautstärke brüllt
mir der gute Jon Bon Jovi You give love a bad name ins morgendlich
sensible Gehör.
Es ist Hundekacke – und meine
vaginale Hochstimmung relativ schnell im Eimer. Schwerfällig quäle ich mich aus
dem Bett und sammle mittels Papiertuch die kleine Wurst auf. Phallisches
Geistesgut verpufft, als mir der Duft verdauter Nahrungsmittel in die Nase
steigt. Ich spüle sowohl Hundewurst, als auch jeglichen Gedanken an weitere,
wie auch immer geartete Würste mit tiefem Seufzen das Klo hinunter.
„Bjööö-ööörn!“, grolle ich schon am
Treppenaufgang. Zugegeben, es klingt wie der Ruf einer Domina. Stimmlich bin
ich dauererkältet. Seit ich sprechen kann, klingt meine Stimme heiser, rau und
manchmal ein wenig krächzend. Wie Pink!, sagen liebe Freunde. Wie die
Frau von der Sexhotline!, sagen ehrliche Freunde. „Hast du Tyson gestern Nacht
denn nicht noch mal nach draußen gelassen?“
Ich vernehme hektisches Klappern aus der
Küche im Erdgeschoss.
„Nee-heee“, kommt die überraschte Antwort.
„Hätte er denn noch mal gemusst?“
Ich klemme Tyson unter meinen Arm und
schnaube: „Hätte er mir sonst ins Schlafzimmer gekackt?“
Tyson ist ein drei Monate alter Chihuahua.
Sie wissen schon: diese mexikanischen Fledermäuse, die überwiegend aus Ohren
bestehen, deren Augen aussehen, als litten sie unter Verstopfung, und die
tatsächlich ganz offiziell als Kleinhundrasse anerkannt sind, weil sie bellen
können. Genau so ein Exemplar wurde mir vor vier Wochen von einem Gast in der Jagdhütte aufgedrängt. „Sooonst iccch
muss leidärrr ärrrtränken Chhhuuund in Bierrrglas“, erklärte das russische
Double von Arnold Schwarzenegger mit tollwütigem Knurren in der Stimme, setzte
ein nicht mal faustgroßes, zitterndes Etwas bedeutungsschwanger neben die
potentielle Tatwaffe und dekorierte es mit Schaum. Beide sahen mich aus großen,
hervorquellenden und tiefschwarzen Augen an. Der eine mit unverhohlener
Ãœberheblichkeit, der andere mit trauriger Unschuld.
Ich bin eigentlich kein Mensch, der sich
erpressen lässt. Aber als plötzlich unter der riesigen Pranke zwei winzige
Pfoten im Gerstensaft paddelten, fühlte ich mich genötigt, einzugreifen und dem
Drama ein Ende zu setzen.
„Nasdrowje!“, lachte Arnie, ließ Tyson in
meine Schürzentasche gleiten, kippte den halben Liter Bier in einem Zug und
bestellte noch zwei Wodka.
Wenn ich am Abend kellnere, liegt es an
Björn, sich um den Hund zu kümmern. Und wenn ich am Morgen vor meinem regulären
Job in die Küche komme, soll er dafür sorgen, dass mein Kaffee auf dem Tisch
steht. Das sind so ziemlich die einzigen Pflichten, die der Herr des Hauses
hat.
„Hat er ins Haus gemacht?“, fragt Björn
und erwärmt zu meiner Missstimmung gerade erst das Wasser der Padmaschine. Das
dauert!
„Was hab ich denn gesagt?“, blaffe ich.
„Natürlich hat er ins Haus gemacht.“
„Dann hätte er wohl noch mal rausgemusst.“
Ich möchte Björn auf der Stelle erschlagen.
Normalerweise ist jetzt wieder kopfinterne
Diskussion angesagt: Wie ungerecht vom Leben ich mich behandelt fühle, dass ich
trotz zwei Jobs den Haushalt fast im Alleingang schmeiße und mir ständig seinen
Kopf zerbreche. Normalerweise. Jetzt mache ich mir ein paar Gedanken weniger.
Denn aufgrund der regressiven Wirtschaftslage sah sich der Pächter der kleinen
gutbürgerlichen Kneipe, in der ich seit über zehn Jahren kellnere, gezwungen,
Personal abzubauen. Gestern war mein Letzter. Einen Job bin ich also los.
Zwar bedauere ich den Verlust meines doch
recht lukrativen Nebenverdienstes – der Abschied am gestrigen Abend war
entsprechend tränenreich –, dennoch atme ich insgeheim auf. Chronischer Schlaf-
und Erholungsmangel, nach acht Stunden Büro bis weit nach Mitternacht auf den
Beinen – da danken dir Körper und Geist jede noch so kurze Auszeit. Außerdem
ist im Verlag, in dem ich seit sechs Jahren arbeite, von Umstrukturierung die
Rede, und ich mache mir nicht unbegründet Hoffnung auf den Posten der stellvertretenden
Cheflektorin. Arndt und ich wären das perfekte Team. Tag für Tag würden wir
Hand in Hand arbeiten und...
„Wolltest du nicht immer mal eine
Prinzessin sein?“
„Hä?“ Björn reißt mich jäh aus meinen
Gedanken. Gedanken an Arndt, was ich ihm besonders übelnehme.
„Hast du dir früher denn nicht gewünscht“,
schiebt er sorgsam den Kaffeepott vor meine Nase, „eine Prinzessin zu sein?“
„Na, ganz sicher nicht!“ Ich habe mir
vorgestellt, Superwoman zu sein. Oder ein Geschöpf der Finsternis, was im Übrigen
meine Vorliebe für Fledermäuse im Allgemeinen und Chihuahuas im Besonderen
erklärt. Aber Prinzessin? Igitt! Niemals!
In Björns Gesicht zeichnet sich eine Spur
Enttäuschung ab. „Ganz sicher nicht? Warum nicht?“
Ich stelle meine Tasse ein bisschen lauter
ab als nötig.
Björn versteht die unausgesprochene
Warnung. „Ja. Schon gut. Ist nicht wichtig.“ Er widmet sich zerknirscht seinem
Laptop, der wie allmorgendlich anstelle einer Zeitung auf dem Küchentisch die
Tagesnachrichten offeriert.
Björn und ich kennen uns seit siebzehn
Jahren, dreizehn davon sind wir verheiratet.
„Ach, Lulu“, jaulte meine Mutter wie ein
ausgesetzter Hund auf dem Raststättenparkplatz, als ich sie vor gut zwölf
Monaten darüber in Kenntnis setzte, dass Björn und ich uns würden scheiden
lassen. „Denkt doch auch mal in die Kinder!“
Kinder? „Mama? Welche Kinder?“
„Na... die, die ihr einmal haben werdet“,
erklärte sie dogmatisch und ich stellte kurzzeitig mein Wahrnehmungsvermögen
infrage.
Nach einer Diskussion, dass in meinem
Alter die Chancen, schwanger zu werden, bei nicht mal mehr zwanzig Prozent liegen,
stand diese Möglichkeit seit über fünf Jahren ohnehin außer Frage. Björn und
ich hatten uns bereits weiter auseinandergelebt als Elton John und die
Beckhams. Alles, was uns noch verband, war Freundschaft. Doch selbst das konnte
sie von der Endgültigkeit unserer Entscheidung nicht vollständig überzeugen.
„Ein Kind würde euch wieder zusammen...“
„Maaa-maaa!“, fiel ich ihr genervt ins
Wort.
„Aber Angelina und Brad haben doch
auch...? Und Madonna? Und jetzt sogar der Pocher mit der Ex vom Boris... Nee,
die haben’s ja selbst gemacht.“ Himmel! Sie sollte endlich ihr GALA-Abo
kündigen.
„Nein!“
Mama seufzte enttäuscht. Doch ihre
Enttäuschung barg nur die Trauer um den eigenen Verlust. Und dabei war der noch
selbstgemacht, denn sie hatte Papa
vor zehn Jahren nach einem heftigen Streit über die Anordnung der Joghurtbecher
im oberen Fach des Kühlschranks erst zusammengefaltet und dann hochkant aus der
Wohnung geworfen.
Mein wohl liebenswerter, aber völlig
unselbständiger Erzeuger quartierte sich in der kleinen Pension meiner
Schulfreundin Bea ein. Und so kam es, dass meine vermeintliche Stiefmutter
nicht mal drei Monate älter ist als ich.
„Wie geht’s dir eigentlich? Jetzt? So?“
Ich sehe über die Schulter meines
Spiegelbildes hinweg zu Björn, der lässig gegen den Türrahmen des Badezimmers
lehnt.
Er ist noch immer ein kleiner Macho. Und
das hatte ich echt an ihm geliebt. Mit den Jahren verkümmerte er jedoch mehr
und mehr zum Weichei. Nicht, dass Björn einfach nur gerne andere für sich
arbeiten lässt, er ‚verunselbständigt’ regelrecht. Es raubt mir den letzten
Nerv, ihn ständig bemuttern zu müssen. Nichts geschieht in Eigeninitiative oder
ohne dass er dafür überschwängliches Lob erwartet. Ja, hast du das fein
gemacht? Ganz fein? Ja? Örks!
„Warum?“, frage ich skeptisch und tusche
hochkonzentriert meine Wimpern. Wer sich schon mal versehentlich so ein
Bürstchen ins Auge gerammt hat, passt künftig besser auf. „Hast du noch einen
Job für mich?“
Björn tritt seufzend hinter mich und legt
eine Hand auf meine Schulter. „Ach, Lulu. Nun sei doch froh, dass du endlich
wieder ein bisschen Zeit für dich hast.“
„Schätzchen, ich verbringe den ganzen Tag
mit mir. Ich denke also, ich habe genug Zeit für mich.“
Er schüttelt den Kopf. „Zeit, um unter
Leute zu gehen.“ Als meine rechte Augenbraue nach oben schnellt, fügt er
erklärend hinzu: „Ohne Tablett in der Hand. Nur zu deinem privaten Vergnügen.
Verstehst du, was ich meine?“
„Ja“, erwidere ich knapp. „Und ich meine,
ich komme zu spät zur Arbeit.“ Ich habe echt keine Lust, morgens um sieben
tiefgründige Gespräche mit meinem Ex zu führen. „Könntest du bitte gleich noch
mal mit Tyson nach draußen gehen? Und Bella und Edward brauchen frisches
Wasser“, lege ich rasch seine Prioritäten für heute fest. „Die Spülmaschine
habe ich eingeschaltet, die kannst du in zwei Stunden ausräumen. Der Müll muss
nach draußen, deine Schmutzwäsche ins Bad und...“
„Ich habe mich verliebt.“
„...die Biotonne... Was?“
Eine zartrosa Färbung legt sich über
Björns Wangen. Leise wiederholt er, was ich sehr wohl sehr gut schon beim
ersten Mal verstanden habe. „Ich habe mich verliebt.“
„Na... das... das ist doch wunderbar!“
Gegenwärtig überfordert mit dieser Neuigkeit, fange ich mich jedoch rasch
wieder. Immerhin sind wir seit fast fünf Jahren kein Paar mehr. Wie und wo er
während dieser Zeit seinem hormonellen Überdruck entgegenwirkte, will ich gar nicht
wissen.
„Ja... und... Alex und ich sind ziemlich
verliebt. Ineinander.“
Da steht er. Wie ein kleiner, schüchterner
Junge. Ich küsse seine Stirn und knuffe ihm spielerisch gegen die Schulter.
„Hey, das ist toll! Aber jetzt muss ich los.“
„Lulu?“, ruft Björn mir nach, als ich die
Treppe hinunter zur Haustür haste. „Mir ist deine Meinung sehr wichtig, weißt
du? Es ist nur okay, wenn es auch für dich okay ist.“
„Okay!“
„Lulu?“
Ich seufze. „Ja-haaa?“
„Ich koche was Schönes. Heute Abend. Für
dich, Alex und mich. Ja?“
„Jaaa-haaa!“ Erleichterung macht sich in
meinem Körper breit, als hinter mir die Tür ins Schloss fällt.
KAPITEL
zwei
„Björn hat also wieder Sex“, fasst
Gretchen meinen morgendlichen Bericht zusammen und blinzelt angestrengt in ihre
Kaffeetasse. Liest sie da den Text ab? „Mit jemand anderem als sich selbst“,
fügt sie stirnrunzelnd hinzu.
„Und du, mein Wonneproppen?“, erkundigt
sich Piet gewohnt impertinent. „Wann, wo und wie hattest du denn das letzte Mal
Sex?“
Gerne hätte ich „Gestern Nacht!“
geantwortet.
Doch da wendet Gretchen bereits ein:
„Außer in deinen Träumen, natürlich.“
„Oder mit Big Johnny.“
Für diese Bemerkung versetze ich Piet
einen Klaps gegen den Hinterkopf. „Wer solche Kollegen hat, braucht echt keine
Feinde mehr.“
„Komm schon, Lulu“, drängt er dreist und
ziemlich penetrant. „Erzähl mir deine kleinen Geheimnisse. Irgendwas
Schmutziges.“
Ich winke Piet mit dem Zeigefinger näher.
„Dein Hemdkragen.“
Gretchen prustet vor Lachen. „Du willst
ein wirkliches Geheimnis erfahren, Piet?“
Er nickt und verdeckt mit einer Mappe
seinen Hals.
Ich schmunzele schon mal vor.
„Es kommt doch auf die Größe an!“
Gretchen jongliert ein Lineal durch ihre Finger.
Kurze Stille. Dann ein Räuspern.
„Ich stehe trotzdem jederzeit gerne zur
Verfügung“, lässt Piet uns wissen, bevor er mit leicht zerknirschtem
Gesichtsausdruck abzieht.
Amüsiert schaue ich ihm nach und entdecke
Arndt, der sich im Flur angeregt mit einem unserer Nachwuchsautoren unterhält.
Er sieht kurz zu mir hinüber und lächelt.
„Oha!“ Mein Stoßseufzen interpretiert
Gretchen als Zeichen zwischenmenschlicher Frustration. Oder kurz gesagt: schon
sehr lange brachliegende sexuelle Aktivität im Hause Herz.
Und damit liegt sie ziemlich richtig.
Die letzten Male – und das ist bereits
einige Jahre her – haben Björn und ich ausnahmslos in der Hündchenstellung
miteinander geschlafen. Er ritt mich derart heftig, dass ich fürchtete, er
könne mir jeden Augenblick in den Nacken beißen, mich besabbern und sich bis
zum Abklingen der Erektion in mir verhaken. Am liebsten war ihm sowieso, wenn
ich es ihm oral – igitt, allein der Gedanke löst noch immer Würgereiz in mir
aus! – oder mit der Hand besorgte. Wir merkten schnell, dass keiner von uns
beiden mehr richtig Spaß an der Sache hatte – und ließen es bleiben.
„Wie lange geht das eigentlich schon?“,
fragt Gretchen und streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Zwischen dir
und Arndt?“
„Da geht doch überhaupt nichts“, erwidere
ich und die Spur des Bedauerns in meiner Stimme gleicht einem Trampelpfad.
„Eben drum.“ Gretchen macht es sich auf
meinem Tisch bequem. „Ihr kennt euch doch jetzt schon... wie lange? Zwei
Jahre?“
„Drei Jahre“, korrigiere ich und schiele
zur Tür. Allein diesen Mann anzusehen, ist schon wie Sex.
Arndt ist die personifizierte Erotik. Wie Hugh Jackman, George Clooney und Matthew
McConaughey in einer Person. Er ist gut einsneunzig groß, schlank
und durchtrainiert. Sein dichtes schwarzes, leicht gelocktes Haar ist an den
Schläfen ergraut und verleiht ihm noch mehr Sexappeal. Als ob das nötig wäre!
Er weiß das und versteckt sich hinter gespielter (oder ehrlicher?)
Zurückhaltung. Das kann frau zur Raserei bringen – vor Sehnsucht und Verlangen.
Nur die unangemessen helle Stimme ist wenig stimulierend. Doch wozu sollte er
reden müssen? Die Frauen fallen schon ganz von alleine um.
„Kerle wie er stehen halt nicht auf
Durchschnittsfrauen wie mich“, stelle ich sachlich fest. „Die haben ihre Heidis
und Naomis und Claudias. Da kann ich nicht gegen anstinken.“
Gretchen ist eine durch und durch ehrliche
Haut. Sie widerspricht mir nicht. „Stimmt schon. Aber weißt du, jeder Mensch
trägt einen Zauber im Gesicht, der eines anderen Liebe erweckt.“
„Von welchem Kalenderblatt hast du das
denn?“, frage ich und schenke ihr ein liebevolles Lächeln. Gretchen hat ihr
Herz am rechten Fleck.
„Keine Ahnung“, zuckt sie mit den
Schultern. „Doch es lässt sich auf keinen Fall leugnen, dass er in dir genau
diesen Zauber sieht.“
„Ach, Quatsch!“, winke ich mit einem
Gesichtsausdruck ab, der sagt: ‚Gib mir mehr! Gib mir mehr!’
Gretchen umfasst ihre Kaffeetasse wie ein
Buch mit sieben Siegeln, das sie nun entschlüsseln würde. „Es ist
offensichtlich, dass er ständig deine Nähe sucht.“
Ich muss zustimmend nicken.
„Dieses Geplänkel... und dann hat er immer
so ein Glitzern in den Augen, wenn er sich mit dir unterhält. Hallo?“ Gretchen
ist eine scharfe Beobachterin. „Die zarten Berührungen... traut er sich aber
erst seit ein paar Wochen“, eruiert sie nachdenklich.
Eine sehr
scharfe Beobachterin, muss ich feststellen. „Äh...“
„Woran liegt’s denn noch? Und sag bloß
nicht, an Sylvia“, greift Gretchen einer möglichen Ausrede – und nichts anderes
wäre es gewesen – vor.
Sylvia ist eine dieser Frauen, die mit
perfekt gezupften Augenbrauen und getuschten Wimpern zur Welt gekommen und mit
einem Glanz bedacht sind, der jedem Kerl suggeriert: Bekomm ruhig einen
Ständer bei meinem Anblick. Daneben komme ich mir vor wie Angela Merkel
beim Baywatch-Casting.
Bis auf dieses eine Mal vor dreiundzwanzig
Jahren...
„Weißt du, und wenn es nur wäre, um dieser
Mascaraschnitte endlich eins auszuwischen“, scheint Gretchen meine Gedanken zu
lesen. „Aber darum geht’s natürlich nicht“, fügt sie rasch hinzu.
„Natürlich nicht. Ich hatte ja schon meine
Genugtuung.“
Sie tippt mir zart mit dem Finger auf die
Nase. „Und du solltest dir noch was Gutes tun, Herzblatt. Lass es zu. Zeige
ihm, dass du es auch willst.“
Ich nippe an meinem Kaffee. Eine
Verlegenheitsgeste, wenn ich nicht weiß, was ich tun oder sagen oder gar denken
soll.
„Wenn er so gut ist wie er aussieht“,
fährt Gretchen enthusiastisch fort, „wird er dir das Hirn aus dem Schädel
vögeln und du schreist immer noch ‚Mehr! Mehr! Tiefer! Tiefer!’“
„Was ist denn hier los?“
Arndt betritt mein Büro und Gretchen hopst
rasch vom Tisch. „Szene aus einem Lektorat! Ich bin dann mal weg“, zwinkert sie
und schließt die Tür hinter sich.
„Guten Morgen, Lulu. Ich...“ Er sieht
zurück zur Tür. „Ich wollte nicht stören.“
„Tust du nicht! Tust du nie!“ Gedanklich
schlage ich mir gegen die Stirn. Ich benehme mich ja wie ein Schulmädchen.
Schnell nippe ich an meinem Kaffee.
Arndt scheint es zu gefallen. Er lächelt
gerührt und kommt näher. Dabei berührt mich seine Schulter wie zufällig am Arm.
„So?“
Ich spucke vor Schreck die braune Plörre
in die Tasse zurück.
„Lulu?“
„Hm?“ Mein Herz knattert wie ein kaputter
Auspuff, als ich an den Traum der vergangenen Nacht denke. Während mir wieder
einfällt, was er alles mit mir angestellt hat. Und ich mit ihm. Meine Wangen
beginnen zu glühen.
„Alles klar?“ Er beugt sich zu mir hinab
und ich sauge mich an seinem Blick fest. Da war dieses seltsame Glitzern in
seinen Augen, von dem Gretchen gesprochen hat. Oder bilde ich mir das nur ein?
Ich nicke mechanisch. „Ja, klar. Alles
klar.“
„Wirklich?“ Arndt tritt näher, umfasst
meine Oberarme und macht Anstalten, in meinem Gesicht zu versinken. Zumindest
denke ich das. „Du hast was“, murmelt er und löst damit einen Impuls in mir
aus.
Ich kann nicht anders. Ich stelle mich auf
die Zehenspitzen und küsse ihn. Dann weiche ich erschrocken zurück.
Es ist wie im Film: Arndt zuckt kurz mit
den Augenbrauen, während sich ein Lächeln auf seinem Gesicht breit macht. Mit
der Zunge fährt er über sich über die Lippen, nimmt mich ins Visier und tritt
erneut auf mich zu.
„Ent-ent-entschuldigung“, stottere ich,
wohl wissend, eindeutig zu weit gegangen zu sein. „Ich... es...“
Die Erklärung holt sich Arndt direkt von
meiner Zunge. Überraschend. Wild. Zügellos. Mir fegt es den Boden unter den
Füßen weg und mein Hintern landet unsanft auf der Schreibtischplatte. Um nicht
nach vorn über zu kippen, hat sich Arndt blitzschnell zwischen meine Beine
gestellt. Quasi nur zur Sicherheit!
Genau das
werden wir nämlich Sylvia erklären, die urplötzlich in meinem Büro steht,
während sich Arndts rechte Hand noch in meinem BH befindet. Bevor Sylvia von
ihren Unterlagen aufblickt, haben wir bereits einen Abstand von mehr als einem
Meter zueinander hergestellt. Schnelligkeit ist eben alles.
„Es ist nicht das, wonach es aussieht“,
merkt Arndt heiser an und räuspert sich kurz.
Hätte er nicht ausgerechnet diese
bescheuerte Ausrede vom Stapel gelassen, man müsste Bodenfrost melden bei so
viel Coolness.
„Was denn, Honigbärchen?“, kommt Sylvia
äußerst beschäftigt in einem Manuskript blätternd, auf uns zu.
Honigbärchen? Ich unterdrücke einen
Würgereiz.
Etwas verwirrt beobachte ich, wie Sylvia
murmelnd im Kreis geht, genau drei Mal. Sie bleibt stehen und starrt mich an.
„Wir müssen reden.“
Dachte ich mir. Diese Chance hatte ich ihr
damals nicht gegeben. Das könnte jetzt heiter werden.
„Dies hier“, tippt sie bedeutungsvoll auf
das Papier in ihrer Hand, „ist ein Manuskript des zweiten Teils der
Fantasystory von Berta Brecht. Du hast es abgelehnt. Warum?“
Ich kneife mir selbst in den Arm, bevor
ich antworte: „Weil ich den ersten Teil auch schon abgelehnt habe.“
„Die Autorin“, näselt Sylvia in
autoritärem Tonfall, um mir einmal mehr ins Bewusstsein zu rücken, wer hier die Chefin ist, „hat sich
persönlich bei mir beschwert.“
„Autorin?“, wiederhole ich ungläubig.
„Autorin? Welche Autorin, bitte? Berta Brecht hat die Herr der Ringe-Trilogie
eins zu eins ab-ge-schrie-ben.“
Kurzzeitig schaudert mir. Dann beruhigt
mich der Gedanke, dass Sylvia womöglich so vertieft in den Text gewesen war,
dass sie die prekäre Situation zwischen Arndt und mir tatsächlich nicht erfasst
hat.
„Berta Brecht hat sich ja nicht mal die
Mühe gemacht, die Namen zu ändern“, erkläre ich daher sachlich und stelle mich
bereits auf eine längere Diskussion ein, als ich bemerke, wie Arndt tief Luft
holt.
„Nun gut“, gibt Sylvia ungewohnt schnell
nach. „Wenn du das sagst.“
Es tritt eine so unangenehme Stille ein,
dass mir selbst eine Showeinlage von Roberto Blanko lieber gewesen wäre. Doch
ich wage nicht, mich zu bewegen. Sylvia sieht mit einem Mal aus, als wolle sie
mich anspringen und warte nur auf einen Wimpernschlag.
Arndt ist es, der seine Hand auf meine
Schulter legt und mich damit binnen einer Sekunde um fünf Jahre altern lässt
vor Schreck. „Dann wäre ja alles geklärt“, verstärkt er kurz den Druck und
schickt sich an, zu gehen.
„Warte kurz, Honigbärchen“, wirft Sylvia
ihre giftigen Fänge nach ihm aus und schlingt sie um Arndts verboten schlanke
Hüfte.
Mir stockt der Atem.
„Ich wollte noch ein Wort zur
Umstrukturierung sagen.“ Sie lächelt mich mit dem Charme einer schwarzen Witwe
an. „Die Stelle des zweiten Cheflektorats werde ich selbst besetzen. Das
Management wird vorübergehend Vater übernehmen. Ich muss mich schonen und so
kann ich von zu Hause aus arbeiten.“
Dafür, dass mir von Arndt nicht das Hirn
aus dem Schädel gevögelt wurde, bin ich gerade ziemlich schwer von Begriff.
„Hä?“
„Wieso schonen?“, fragt Arndt und sieht
auch nicht allwissend aus. „Wieso...?“
Interessiert mich überhaupt nicht. Ich bin
nur frustriert, um einen gutbezahlten Job gekommen zu sein. Dennoch horche ich
auf.
„Na, weil“, lächelt Sylvia so zuckersüß,
dass ich beinahe Diabetes davon bekomme, „wir beide ein Kind erwarten.“
Ich kann den Schlag regelrecht hören, der
Arndt mit voller Wucht trifft. „Wie bitte? Du bist schwanger? Von... äh... seit
wann?“
Ein diabolisches Grinsen breitet sich über
ihrem Gesicht aus. Sie packt Arndt energisch an der Hand. „Seit heute,
Honigbärchen. Dafür wirst du jetzt sorgen. Komm mit!“
Er soll ihr jetzt ein Kind machen? Was glaubt sie denn, was er ist? Ein
andalusischer Zuchthengst?
Ich schüttele den Kopf. Kann mir auch egal
sein. Für mich ist die Sache gelaufen. Arndt hat seinen unwiderstehlichen Glanz
verloren – auch wenn ich gerne noch die eine oder andere Stelle poliert hätte.
Nein! Ich muss einen Haken dran machen. Ebenso an meine Beförderung. Verdammter
Mist!
Wütend und enttäuscht knalle ich meinen
Kaffeebecher auf den Tisch, als die Tür mit einem Wusch zufliegt. Dann rufe ich
Gretchen an. Ich muss mir jetzt sofort eine Kippe bei ihr schnorren. Noch
während ich die Nummer wähle, öffnet sich meine Bürotür erneut und Sylvia
streckt ihren Kopf herein. „Ach, übrigens? Lulu?“
Ich schaue nur widerwillig auf. „Hm?“
„Du bist entlassen.“
Mir fällt spontan der Hörer aus der Hand.
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