Charlie und der Wolf {Grimms Mädchen}
Manchmal wünsche ich mir, mein Leben wäre mit Hintergrundmusik unterlegt. Dann wüsste ich wenigstens gleich, in welchem Schlamassel ich gerade stecke. (Charleen ‚Charlie‘ Liebkind)
Als Claus ihr nach dreißig Jahren Beziehung mit den Worten „Tut mir leid, min Seuten. Aber du passt einfach nicht mehr in mein Leben“ die Koffer vor die Bremerhavener Tür stellt, ergreift Charlie die Chance auf einen Neuanfang und zieht als selbständige Tagesmutter in die Villa ihrer verstorbenen Tante im südhessischen Darmstadt.
Noch bevor sie den ersten Schritt in ihr neues Leben macht, stolpert sie in die Arme von Elias – witzig, charmant, aufmerksam und fünfzehn Jahre jünger als Charlie. Doch – so what? Sie wird ihn ohnehin nach dieser Nacht nie wieder sehen. Denkt sie...
Die sportliche Charlie trifft in der Fortsetzung des Romans SCHEESCHNITTCHEN (2015) auf bereits bekannte und liebgewonnene Charaktere, wie die Geschwister Gregor und Greta sowie das Vater-Sohn-Gespann Joe und Elias und die frischgebackenen Eltern Alex und Nina mit Josephine. Und viele mehr.
Und weitab ihrer Heimat begegnet Charlie endlich dem Einen...
Wolf, der [vɔlf] Substantiv, maskulin
(auch als Krafttier bekannt, verfügt über einen starken Familiensinn, sodass er sein Territorium und seine Familie ohne Kompromisse schützt, sich aber nicht als Raufbold präsentiert und unnötigen Kämpfen aus dem Weg geht. Kommt es zum Streit mit Artgenossen, reicht meist ein Blick oder eine Geste, um Differenzen beizulegen.)
Das Leben ist nicht immer, wie es scheint.
Die Autorin beschränkt sich auch in dieser Geschichte nicht mehr nur auf die Erzählform aus Sicht der Protagonistin, sondern entführt ihre Leserinnen und Leser immer wieder in kleinen Etappen zu den Geschehnissen außerhalb ihres Wahrnehmungsbereichs.
Mittendrin in vielen Leben.
Leev,
die [Leev] Substantiv, feminin
(bezeichnet
im niederdeutschen Sprachraum die Liebe)
PROLOG
In einem Tattoostudio irgendwo in Südhessen...
Evan schüttelte den Kopf und seufzte nachsichtig. Ein derartiges Verhalten kannte er nur zu gut. Allerdings von seinen Oberstufenschülern und nicht unbedingt von einem gestandenen Mann Anfang fünfzig. Und das war Joseph Hunter.
„Hunter, wenn eine Frau Was? sagt“,
deklamierte Evan, „dann nicht, weil sie es nicht gehört hat. Sie gibt dir nur
die Chance, das Gesagte noch einmal zu überdenken. Und zu revidieren.“ Er
blickte zu dem großflächig tätowierten Adonis hinüber, an dessen Nase ein
schneeweißer Hundewelpe nagte. „Solltest du aber wissen.“
„Weiß ich“, log Joe und fügte abfällig
hinzu: „Klugscheißer.“
Evan rollte unweigerlich mit den Augen und
brummte: „Schon klar.“
Elias steckte das Smartphone weg, nachdem
er die Nachricht seines Onkels Gregor gelesen hatte, und ließ sich entspannt
auf dem Ledersofa nieder. „Mum hat geduscht und macht es sich gerade im
Wohnzimmer bequem“, informierte er seinen Vater, Joe, und Evan, den besten
Freund seiner Mutter. „Gregor wird jetzt mal versuchen, mit ihr zu reden.“
„Das ist so bescheuert“, murrte Joe und
zupfte sich den Welpen von der Nase. „Ich weiß gar nicht, warum ich diesen
Scheiß überhaupt mitmache.“ Er schob seine Hand unter den Bauch der zwölf
Wochen alten Französischen Bulldogge und stand auf.
„Du machst es für Mum“, mahnte Elias mit
hochgezogener Augenbraue.
Elias und Joe hatten erst vor wenigen
Tagen – unter etwas ungünstigen Umständen – von ihrer Blutsverwandtschaft
erfahren. Während Elias diese Tatsache ehrlich erfreut als gegeben hinnahm,
warf es Joe ziemlich aus der Bahn, vor dreißig Jahren die kleine Schwester
seines besten Freundes nicht nur entjungfert, sondern auch ein Kind mit ihr
gezeugt zu haben. Dabei lieferte doch eigentlich schon die Ähnlichkeit – sowohl
optisch als auch charakterlich – einen deutlichen Hinweis auf das
Vater-Sohn-Verhältnis.
Die Bulldogge in der Handfläche sanft
wiegend, tigerte Joe durch sein Tattoostudio. Seine Kiefer mahlten. Er hatte
überhaupt keine andere Wahl, als sich auf den von Elias und Evan ersonnenen
Plan einzulassen. Indem sein ältester und bester Freund Gregor vorgeblich die
Pizzabestellung bei ihnen aufgab, signalisierte er grünes Licht für Joe. Als
Lieferant würde er mit Gregors Hilfe und von Greta hoffentlich unbemerkt, in
deren Wohnung schleichen und sich zunächst in Elias‘ Zimmer verstecken können.
Zum richtigen Zeitpunkt würde er Lotti vorschicken. Der tapsige Welpe sollte
als Weichmacher fungieren, bevor Joe schließlich zum klärenden und
versöhnlichen Gespräch auf der Bildfläche erschien.
So war der Plan.
Und dafür hatten sich Elias und Evan auch
ziemlich ins Zeug gelegt. Während Evan – ein ausgesprochener Diplomat – den
vorübergehend ziemlich wütenden Gregor besänftigen und von ihrem Vorhaben
überzeugen konnte, fuhr Elias schlappe sechshundert Kilometer hinauf in den
Norden, um Lotti bei einer seriösen Züchterin abzuholen. Die Anschaffung eines
Hundes war bereits länger geplant, die Umsetzung erfolgte zweckdienlich nun
einfach früher. Er war zur rechten Zeit am rechten Ort.
„Kannst du dich nicht hinsetzen?“ Elias fläzte
breitbeinig auf dem großen Ledersofa. „Wenn ich dir zuschaue, bekomme ich
Drehschwindel.“
Joe schüttelte den Kopf und steuerte den
Schrank mit dem Whisky an.
Evan war sofort alarmiert. „Was hast du
vor?“
„Wonach sieht es denn aus? Ich möchte etwas
trinken.“
Evan pfiff durch die Finger wie ein
Kommandant. Typisch Lehrer. „Hier ist Wasser.“
„Ich habe Durst“, knurrte Joe daher. „Ich
bin nicht dreckig.“
„Und was denkst du, wird Greta sagen, wenn
du wieder mit einer Fahne vor ihr stehst?“, rief Evan ihm in Erinnerung.
„Es trifft sich gut, dass du schon
betrunken bist“, ahmte Elias eine Frauenstimme nach. „Ich wollte gerade über
Gefühle sprechen.“
Joe blies die Wangen auf und ließ die Luft
dann hörbar entweichen. Dazu rollte er mit den Augen, um zu untermauern, wie
genervt er inzwischen war.
Die kleine Bulldogge spitzte die Ohren und
sah zu ihm auf.
„Lotti? Denkst du, was ich denke?“
Sie furzte ihm spontan auf die Hand.
„Ich sehe schon“, lachte Elias. „Das ist
der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.“
Lütte, die [ˈlʏtə]
Substantiv, feminin
(bezeichnet im niederdeutschen Sprachraum
ein kleines Kind)
In einer WG irgendwo im nördlichen
Elbe-Weser-Dreieck...
„Ich wäre gern ein Löwe“, teilte Thore mit
todernster Miene mit und rammte mir einen Keks in den Mund. „Bumsen, fressen,
geile Frisur.“
Merrit tippte sich an die Schläfe. „Du
hast sie echt nicht mehr alle.“ Dann wendete sie sich an mich. „Ich kann es
immer noch nicht fassen.“
„Waff genau?“ Ich kam mit Kauen und
Schlucken gar nicht so schnell hinterher wie Thore den Spekulatius nachschob.
Deshalb übernahm wohl auch er das
Hinterfragen: „Dass Claus, ganz nebenbei bemerkt, der erste und einzige Mann,
mit dem sie jemals sexuellen Kontakt hatte, Charlie nach dreißig Jahren
Beziehung mal eben so mir nichts, dir nichts aus seinem Leben gestrichen hat?
Oder dass sie seit gestern offiziell eine geschiedene Frau ist? Dass Charlie
von Tante Margarethe neben ihrem nicht unbeträchtlichen Vermögen auch diese
riesige Villa geerbt und daraufhin beschlossen hat, ihren Job im Hort zu
kündigen, um zukünftig in Süddeutschland zu leben und als Tagesmutter zu
arbeiten? Sechshundert Kilometer von ihren allerallerallerallerbesten Freunden
entfernt, die sie nach der Trennung so herzlich und selbstlos bei sich aufgenommen
haben?“
Ich verdrehte die Augen und erstickte bei
dem Versuch, genervt zu stöhnen, beinahe an etwa achtundneunzig Keksen in
meinem Mund.
„Ich meinte eigentlich“, murmelte Merrit,
„dass du gestern tatsächlich mit diesem heißen Typen in der Kiste warst.“
„Ich?“
„Nein. Charlie.“
„Das... äh...“, gestand ich krächzend.
„Das kann ich selbst auch... immer noch nicht fassen.“
„Welcher heiße Typ?“ Thore trat mir
ungeduldig gegen das Schienbein, als ich nicht sofort antwortete. „Welcher
heiße Tü-hüüüp?“
„Das glaubst du nicht“, japste Merrit und
ihre Wangen glühten förmlich vor Mitteilungsdrang. „Der war höchstens Anfang
zwanzig und sah aus wie...“
Ich legte meine Hand auf Merrits Mund und
unterbrach ihren Redeschwall. „Ich habe gestern noch bei Tante Ida
reingeschaut, nachdem Claus und ich diesen Rechtsmittelverzicht gegen den
Scheidungsausspruch erklärt haben, um mich von ihr zu verabschieden. Am
Nachmittag kamen die Käufer für die Welpen. Nur einer rief an und sagte, dass
er sich verspäten würde. Also saßen wir so lange gemeinsam in der Wirtsstube
und haben Tee getrunken.“
„Ja. Genau. Tee.“ Merrit machte ein
prustendes Geräusch.
„Oh.“ Thore nickte wissend. „Idas
norddeutsche Spezialität mit hohen Umdrehungen?“
„Schon“, gab ich zähneknirschend zu.
„Und?“
Bevor Thore mir ein zweites Mal das
Schienbein verschrammen konnte, zog ich die Beine auf den Stuhl und schlang
meine Arme darum. Das Kinn stützte ich auf den Knien ab. „Der Käufer kam gegen
halb sieben“, fuhr ich betont gleichgültig fort. „Ich hatte seinen Welpen auf
dem Schoß und wir kamen ins Gespräch. Schließlich wurde es spät, sodass er
beschloss, erst am Morgen nach Hause zu fahren. Also hat er sich ein Zimmer bei
Tante Ida genommen und wir haben noch ein bisschen gequatscht.“
„Aha. Und auf seinem Zimmer habt ihr dann
weiter gequatscht.“
„Sozusagen.“
Meine beiden besten Freunde warfen sich
vielsagende Blicke zu.
„War’s denn gut?“, wollte Thore wissen.
Merrit interessierte viel mehr, wann und
ob ich ihn wiedersehen würde. „Wie heißt der Typ? Woher kommt er? Hast du seine
Nummer?“
Ich schüttelte drei Mal den Kopf.
Thore lehnte sich nach vorn. „Wie? Du
weißt nicht mal seinen Namen?“
„Er hat den Welpen für jemanden abgeholt.“
„Aber er wird Tante Ida doch seinen Namen
genannt haben? Frag sie. Außerdem kann man über den Käufer herausfinden, wo er
wohnt.“ Meine beste Freundin wurde ganz hektisch.
Ich tippte mir an die Stirn. „Bleib mal
auf dem Teppich, Merrit.“
„Aber der Typ ist so heiß...“
„Das ist eine Herdplatte auch“, schnitt
ich ihr harsch das Wort ab. „Und jetzt ist Schluss. Ich werde ihn sowieso nie
wieder sehen. Außerdem ist mir das alles verdammt peinlich.“
Mitfühlendes Aufseufzen von Merrit.
„Wieso denn peinlich?“ Thore hielt mir
schon wieder Spekulatius unter die Nase und konnte diesen Ansatz von
Schamgefühl überhaupt nicht nachvollziehen.
„Weil Charlie normalerweise nicht der Typ
ist, der sich volllaufen lässt und dann mit irgendeinem wildfremden Kerl ins
Bett steigt. Das ist eher dein Ding, Thore.“
„Ey“, hob er sofort abwehrend beide
Handflächen. „Ich steige ja wohl nicht mit wildfremden Kerlen ins Bett.“
„Mit wildfremden Weibern eben“,
korrigierte sich Merrit maulig.
„Und was hältst du von solchen Frauen?“
Ein Denkanstoß, der mich selbst am allermeisten beschämte.
Thore sah plötzlich aus, als hätte er mit
fiesen Blähungen zu kämpfen. Er streichelte mir über die Wange und nickte
verständnisvoll. „Wir wissen doch, dass du nicht so eine Frau bist.“ Räuspernd
fügte er hinzu: „Normalerweise schläfst du nach dem vierten Grog ein und
vögelst in der Regel auch nicht mit Burschen, die noch grün hinter den Ohren
sind.“
„Wie bitte?“, krümelte ich die Hälfte
meines Spekulatius’ aus dem Mund.
„Merrit sagte, er sei erst zwanzig?“
„So ein Quatsch“, tippte ich mir wieder
mit dem Finger gegen die Schläfe. „Er sagte, er sähe viel jünger aus als er
ist.“
„Und wie alt ist er nun?“
Ich schob mir noch einen Keks zwischen die
Zähne. „Dreißig. Und mir ist jetzt schlecht.“ Ich zog das Smartphone aus der
Tasche und öffnete zögernd die Bildergalerie. Das letzte Foto war von gestern
Abend – ein Selfie von meinem ziemlich heißen One-Night-Stand. Und mir. Mit
einer einzigen Berührung des Zeigefingers löschte ich diese Nacht.
Rückblick,
der [ˈrʏkblɪk] Substantiv, maskulin
(gedankliches Betrachten, Zurückverfolgen
von Vergangenem)
Am Abend zuvor in Tante Idas Pension...
„Rum mut, Zucker kann, Water bruuk nich“,
rezitierte Tante Ida einen uralten plattdeutschen Schnack, der so viel hieß wie
Rum muss, Zucker kann, Wasser braucht nicht. So ganz genau nahm sie die
Anleitung allerdings nicht. Für ihren Grog füllte Tante Ida zwei Teelöffel
Zucker in ein Glas und löste ihn mit heißem Tee auf. Dazu gab sie großzügig
Rum. „Auf dein Wohl, min Deern.“
„Um Kopp, an Kopp, in Kopp.“ Es war schon
der vierte Grog heute Abend und allmählich stieg mir der Rum echt in den Kopf.
Nicht, dass das nicht nach dem zweiten schon der Fall gewesen wäre.
Tante Ida – sie ist nicht wirklich meine
Tante, sondern war die beste Freundin meiner verstorbenen Mutter, die mich nach
ihrem Unfalltod bei sich aufgenommen hat – ignorierte mein Schnaufen und
kraulte den schneeweißen Welpen in meinem Arm hinter den Ohren. „Ich mochte den
Claus ja schon richtig gern“, erklärte sie mit Trauermiene.
„Du kannst ihn immer noch mögen, Tante
Ida. Claus ist schließlich nicht tot.“
„Aber ihr seid nun geschieden. Und das
kommt auf dasselbe raus.“
„Aha.“
„Aber er hat sowieso nicht zu dir gepasst,
min Deern.“ Ida machte eine raumfassende Geste. „Claus war in den vergangenen
Jahren nur noch mit seinem Job beschäftigt. Dich hat er doch gar nicht mehr
wahrgenommen. Wann hatte er dir denn das letzte Mal einen Blick gegönnt? Voller
Sehnsucht und Leidenschaft? Was du brauchst, Charleen, ist ein richtiges
Mannsbild, das...“
„Ich brauche ganz sicher keinen Kerl,
Tante Ida. Weder richtig noch falsch. Ich konzentriere mich jetzt auf meine
neue Aufgabe.“
Tante Ida seufzte nachsichtig und
tätschelte meine Hand. „Dieser Neuanfang wird dir sicher guttun, min Deern. Das
hast du richtig gemacht.“
Das hoffte ich. Es war ja schließlich
nicht so, als hätte ich mir diesen Weg ausgesucht. Um ehrlich zu sein, war ich
recht zufrieden mit meinem Job im Kinderhort, dem Häuschen am Bremerhavener
Stadtrand – und eigentlich auch mit meinem Ehemann. Der machte gerade in einer
renommierten Modelagentur als Booker Karriere. Aber so richtig. In seinem Job
sorgte er dafür, dass die Termine von Models mit Fotografen, Produktionsteams,
Kunden und allen beteiligten Medien geplant wurden und reibungslos abliefen. Er
erstellte, bearbeitete und verwaltete die Sedcards von hoch dotieren Models,
vermittelte sie an potenzielle Kunden und organisierte Go & Sees. Claus
agierte als erster Ansprechpartner für die bildschönen Frauen und Männer, was
ihm unter anderem einiges an Sozialkompetenz abverlangte – und mir kosmische
Gelassenheit.
Beides stellte keine Herausforderung dar.
Seit mehr als einem Jahrzehnt schon lebten wir in stillem Einvernehmen
miteinander nebeneinanderher. Bis zu jenem Nachmittag im Herbst vergangenen
Jahres, als Claus meine Koffer vor die Tür stellte und erklärte: Tut mir
leid, min Seuten. Aber du passt einfach nicht mehr in mein Leben. Da
wünschte ich, mein Leben wäre mit Hintergrundmusik unterlegt. So wüsste ich
wenigstens gleich, in welchem Schlamassel ich gerade stecke. Zu den größten
Schnellmerkern vor dem Herrn gehörte ich nämlich leider nie.
Es ergab sich nun, dass wenige Tage nach
meinem unfreiwilligen Auszug Tante Margarethe verstarb und mich als Nichte
mütterlicherseits mangels breiterer Verwandtschaft und keiner übermäßigen
Leidenschaft für Tiere, als Alleinerbin einsetzte. Vorbehaltlich einer
Bedingung: Ich müsse im Norden alles hinter mir lassen und die bereits seit
mehreren Jahren leerstehende Villa im südhessischen Darmstadt beziehen. Erst,
und nur dann, würde ich tatsächlich erben. Die Villa und monatlichen Unterhalt.
Lebenslang.
Nachdem Claus mich so völlig unerwartet
vor die Tür und man mir tags darauf im Hort zudem eine waschechte Kackbratze
vor die Nase gesetzt hatte, nahm ich in einem Moment grenzenloser Enttäuschung,
Verzweiflung und Ratlosigkeit das verlockende Erbe als meine letzte große
Chance wahr und schließlich dankend an. Ich bin fünfundvierzig und habe nicht
mehr ewig Zeit.
„Da wäre dann Ihr kleines Mädchen.“
Ich war völlig in Gedanken – oder
vielleicht schon vom Grog benebelt – und bemerkte gar nicht, dass Tante Ida
irgendwann aufgestanden war und einen jungen Mann an unseren Tisch geführt
hatte.
Der sah mich mit einer hochgezogenen
Augenbraue grinsend an. Es war ein nettes Grinsen. Ein sexy Grinsen. „Ich habe
zwar etwas anderes erwartet“, zwinkerte der Bursche. „Aber das gefällt mir auch
gut.“
„Hä?“
Tante Ida schüttelte den Kopf und
schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Entschuldigen Sie. Die Lütte ist
manchmal etwas schwer von Begriff.“
„Bin ich gar nicht.“
„Bist du doch.“ Sie zog den Stuhl neben
mir energisch zurück und bedeutete dem jungen Mann, sich zu setzen. Sofort.
Er parierte. Sofort. Und immer noch
grinsend.
Ich starrte die schlanke Gestalt mit dem
eckigen Kiefer und der aristokratischen Nase wortlos an. Trotz der feinen,
beinahe zarten Gesichtszüge wirkte er unbestreitbar maskulin. Das schwarze
halblange Haar fiel ihm in weichen Wellen auf die breiten Schultern. Unter
gerade verlaufenden Brauen stachen winterblaue Augen hervor. Ein Kerl zum
Zweimalhingucken.
„Weißt du eigentlich“, hörte ich mich zu
meiner eigenen Überraschung plötzlich sagen, „dass du aussiehst wie...“
„Ja, das weiß ich.“ Er lächelte milde und
seine Lippen formten ein Herz. „Aber du bist auch recht nett anzuschauen.“
„Recht nett“, wiederholte ich. Da hatte
ich schon originellere Komplimente bekommen. Nicht übermäßig viele. Aber ab und
an verirrte sich auch mal eins zu mir. „Meine Oma sagte früher: Deern, auch
wenn du wie ein Leberwurstbrot aussiehst, es gibt da draußen immer jemanden,
der dein Gürkchen sein will.“
Die eisigen Augen flammten auf und er warf
lachend den Kopf in den Nacken. „Gürkchen?“
Tante Ida schob unauffällig zwei Grog über
den Tisch und nickte aufmunternd.
Ich tippte mir an die Stirn.
„Kein Gürkchen?“ Der junge Mann hatte
meine Geste offensichtlich missverstanden.
„Damit warst nicht du gemeint“, erklärte
ich rasch.
„Mit Gürkchen? Oder mit...“ Er formte mit
seinem schlanken Zeigefinger kleine Kreise neben der Schläfe.
„Beides.“
Seine ausgeprägten Kieferknochen mahlten.
„Das finde ich jetzt aber schade. Obwohl du nun wirklich nicht wie ein
Leberwurstbrot aussiehst“, fügte er augenzwinkernd hinzu.
Ich lehnte mich zur Seite und sah ihm fest
in die eisigen Augen. „Meen Jung? Baggerst du gerade eine Frau an, die deine
Mutter sein könnte?“
Er zog den linken Mundwinkel zu einem
verschlagenen Grinsen nach oben und beugte sich ebenfalls zur Seite. Unsere
Nasen waren nun nur noch eine Handbreit voneinander entfernt. „Oh, ich sehe
viel jünger aus als ich bin.“
Ich seufzte bedauernd. „Schön. Ich nämlich
auch.“
Der Welpe regte sich unter geräuschvollem
Strecken und Gähnen. Das wollte ich zum Anlass nehmen, mich schleunigst aus
dieser merkwürdig prickelnden Atmosphäre zu ziehen.
Doch da hatte ich die Rechnung ohne Tante
Ida gemacht.
„Ist die Kleine endlich wach? Da gehe ich
mal mit ihr nach draußen.“ Sie nahm den Hund aus meinem Arm und entfernte sich
sofort wieder. „Übrigens“, rief sie auf dem Weg zur Tür, „euer Grog wird kalt,
ihr Lütten.“
„Den solltest du nicht trinken, wenn du
noch Auto fahren möchtest“, warnte ich vorsorglich.
Der vielleicht nicht mehr ganz so junge
Mann legte den Kopf schräg und hob das Glas. „Nur heute nicht mehr? Oder
grundsätzlich nicht? Macht der blind?“
Ich lachte kurz auf. „Du bist ‘ne Gurke.“
„Schön, zu hören.“
Schlagartig wurde mir die Mehrdeutigkeit
meiner Worte bewusst, woraufhin meine Ohren zu glühen begannen.
„Vom Gürkchen zur Gurke“, setzte der
Flirtkandidat nach. In seinen Augen blitzte der Schalk. „Das hat definitiv
Potential.“
Ich boxte ihm spielerisch gegen den
Oberarm. „Nun hör schon auf.“
Tat er aber nicht.
„Ihr Lütten? Sperrt ihr später ab?“ Tante
Ida legte den Schlüssel auf den Tisch und deutete auf die große Wanduhr. Fünf
vor zwölf. „Gute Nacht, ihr beiden. Und du, min Deern, zeigst dem Jungkeerl
bitte nachher sein Zimmer, ja?“
Ich nickte eifrig und ließ mich von dem
Jungkeerl vom Stuhl ziehen. Der legte gerade eine sensationelle Performance zu
Olly Murs’ Wrapped up hin.
All these crazy thoughts in my mind now, there's just
something about you...
Ich
war beeindruckt, zunächst nur hin- und dann mitgerissen, und gab mir alle Mühe,
dem äußerst talentierten Burschen zu zeigen, dass auch ich keinen Stock im Arsch
hatte. Meine besten Discozeiten lagen jedoch schon eine ganze Weile zurück.
You got me wrapped up around your finger, I'd do
anything for your love now...
Nach
dreieinhalb Minuten war ich zwar noch nicht außer Atem, aber der Rum machte
sich mit Nachdruck bemerkbar. „Puh.“
„Ho-hoppla.“ Mein Tanzpartner fing mich
auf, als ich zur Seite wegzukippen drohte. „Geht’s wieder?“
„Selbstverständlich“, antwortete ich
brüskiert und nahm Haltung an. „Und du darfst mich jetzt gerne loslassen.“
„Gut.“ Grinsend zog er mich näher an seine
Brust.
„Hallo?“
„Ich darf“, erinnerte er an meine Worte.
„Von müssen hast du nichts gesagt.“ Noch bevor ich korrigieren konnte,
legte er einen Finger auf meine Lippen und neigte den Kopf. „Pschsch.“ Seine
Nase stupste sachte gegen meine.
„Moment.“ Ich löste mich aus seinem Griff,
trat ein paar Schritte zurück und schnappte nach Luft. „Was soll das hier bitte
werden?“
Sein Gesichtsausdruck war die Entsprechung
eines naseweisen Schulterzuckens.
Ich schüttelte den Kopf und räumte unsere
Gläser vom Tisch. Dann schaltete ich das Radio und die Deckenbeleuchtung aus.
Mit dem Zeigefinger winkte ich das Tanztalent herbei. „Ich zeige dir jetzt dein
Zimmer und dann gehe ich nach Hause. Es ist schon spät.“
Er nickte schmunzelnd und folgte mir in
den ersten Stock.
An der Tür stand er hinter mir – so dicht,
dass ich seinen warmen Atem im Nacken spürte. In meinem Bauch bahnte sich ein
wohliges Prickeln an.
Als das Schloss knackte, schob er die
linke Hand geschmeidig an meiner Hüfte vorbei und drückte die Tür auf. „Bitte
schön.“
Ich trat rasch ein. Das Prickeln schwoll
allmählich zu einem aufgeregten Kribbeln an. „Hier findest du den
Lichtschalter, das Badezimmer und...“
„Licht kann ausbleiben“, unterbrach er
mich und war so nahe, dass meine Brust gegen seine stieß. Er legte eine Hand
hinter mein Ohr und suchte meinen Blick.
Schiet di wat,
schimpfte ich in Gedanken. Wann hatte mich ein Mann zuletzt so angesehen? So
berührt? So unmissverständlich begehrt?
Was dann geschah, lässt sich in einem Wort
zusammenfassen: Synapsenfasching.
Nach zwölf Jahren Enthaltsamkeit hatte ich
beinahe vergessen, wie viel Spaß Sex machen konnte, ja, was guter Sex überhaupt
war. Dank des Rums hatte ich ebenfalls vergessen, dass ich zwar im Kopf, aber
schon lange nicht mehr im Körper einer Zwanzigjährigen steckte. Was meinem
jungen Liebhaber aber sowieso piepegal zu sein schien.
Nahezu unersättlich und unermüdlich küsste
und liebkoste er mich, jagte mich von einem Höhepunkt zum nächsten und schlief
erst ein, als sich die ersten Herbstmorgensonnenstrahlen auf die Fensterbank
legten.
Ich schälte mich vorsichtig aus seinem
Arm, schlüpfte eilig in meine Kleidung und stahl mich unbemerkt aus seinem
Zimmer.
Auf der Treppe begegnete ich Tante Ida.
Sie musterte mich von oben bis unten.
„Ich kann das erklären“, krächzte ich und
fragte mich im selben Moment: So? Wie denn?
Tante Ida winkte schmunzelnd ab. „Vertäl
mee lever nix.“
Erzähle mir lieber nichts.
War wohl auch besser so. Ich verabschiedete mich von ihr mit einer innigen
Umarmung und eilte zurück in die WG meiner besten Freunde Merrit und Thore, in
der ich vor dreizehn Monaten untergekommen war.
KAPITEL
eins
Vier Wochen später...
Im Flur werfe ich rasch einen Blick in den
fast deckenhohen Spiegel.
Darin sehe ich eine Frau mit freundlichen
schokobraunen Augen, die sehr viel jünger wirkt als sie tatsächlich ist. Ob das
nun an den vereinzelten rosa, hellblau und kiwigrünen Strähnen im langen
aschblonden Haar liegt, das sie in der Regel zu einem gewünscht nachlässigen
Knoten bindet? Oder an dem bevorzugt lässigen Kleidungsstil, wie Vintagejeans
und Oversizeshirts? Womöglich vermutet man auch nur jugendlichen Leichtsinn
hinter den Full Sleeve Tattoos?
Letzteres war sicherlich ausschlaggebend
für die Absage einer Mutter, die ihre ausgeprägte konservative Ader offenkundig
darbot. Eine Tagesmutter von solchem Erscheinungsbild – mit bunten Haaren und
vollständig tätowierten Armen? Ach? Geschieden auch noch? Und selbst keine
Kinder? Kopfschütteln. Naserümpfen. Verabschieden. Danke.
Ich hole tief Luft und öffne die Tür.
„Charleen Liebkind? Guten
Morgen.“ Eine weniger ordinäre Version von Miley Cyrus lächelt mich einnehmend
an. „Ich bin Nina Edel. Und das ist Josephine.“
„Guten Morgen“, schüttele ich ihre zarte
Hand, bedenke den Säugling mit einem freundlichen Blick und bitte die beiden
herein. „Schauen Sie sich ruhig um.“
Mit ausgestreckten Armen bedeute ich der
jungen Mutter, ihr Josephine abzunehmen, damit sie den Mantel ablegen und die
Stiefel ausziehen kann.
„Charleen? Können wir vielleicht du
sagen“, fragt Nina und schielt in den ersten Raum.
„Gerne. Aber dann sag bitte Charlie zu
mir. Charleen sagt kein Mensch.“
Nina strahlt. „Okay. Charlie.“
Ich trete neben sie. „Hier ist das
Spielzimmer. Die Möbel sind aus ungiftigem und solidem Material, sauber
verarbeitet mit gutsitzenden und versteckten Schrauben“, erkläre ich. „Ich lege
großen Wert darauf, dass die Kinder sehr viel Platz zum Spielen haben.
Frühkindliche Förderung liegt mir am Herzen, aber ich vermeide Reizüberflutung.
Die Krabbelkinder sollen lieber mit Bauklötzen oder auch einfach mit Töpfen und
Kochlöffel spielen können, als den ganzen Tag lang mit sprechenden Büchern oder
bunt blinkendem Fuhrwerk konfrontiert zu werden.“
„Aha“, macht Nina und es ist ihr deutlich
ansehen, dass sie gedanklich noch gar nicht so weit ist.
„Ich bin mit den Kindern so oft wie
möglich im Freien“, führe ich weiter aus und Nina in das nächste Zimmer. „Ich
habe einen Garten und mache außerdem gerne Ausflüge. Hier“, lasse ich sie
eintreten, „ist der Schlaf- und Ruheraum für die Kinder.“
„Und wie viele Kinder betreust du?“
„Zwei, ab ersten Dezember. Marie Joana ist
vierundzwanzig und Mowgli vierzehn Monate alt.“
„Drei“, korrigiert Nina. „Mit Josephine.“
„So?“
„Ja... ähm...“ Ihr kippt das Lächeln aus
dem Gesicht. „Falls du auch möchtest?“
Josephine gluckst und hangelt nach einer
Handsträhne, die sich aus meinem Zopf gelöst hat. „Ich freue mich, dass du mir
deine Tochter anvertraust.“
Nina atmet erleichtert auf.
„Und jetzt“, bitte ich sie mit einer
höflichen Geste aus dem Zimmer, „gehen wir in die Küche. Dort können wir die
Details besprechen. Und außerdem habe ich ein kleines Frühstück für uns
vorbereitet.“
„Toll, dass du so flexibel bist, Charlie.“
Drei unterhaltsame Stunden später schlüpft Nina in Stiefel und Mantel. „Und
danke, dass du dir jetzt noch die Zeit nimmst, mit mir zum Salon und ins Studio
zu fahren.“
„Überhaupt kein Problem“, winke ich ab und
halte meinen Blick weiter auf die vier Monate alte Josephine gerichtet, die in
meinem Arm brabbelt und freudig gluckst. „Im Moment habe ich mich ja nur um
mich selbst zu kümmern.“
Wir steuern zunächst den Frisörsalon Schnitte
im Darmstädter Paulusviertel an, in dem Nina künftig dienstags und donnerstags
ihre Ausbildung absolvieren wird. An den anderen Tagen ist sie entweder in der
Berufsschule oder im Salon ihres großen Bruders, der die Ausbildung für den
kosmetischen Bereich übernimmt.
Ohne auszusteigen, fahren wir direkt
weiter zu einem Tattoostudio. Die Nadel ist mir durchaus ein Begriff,
allerdings nur in Zusammenhang mit Köln. Sam, ehemaliger Erzieher in Hamburg
und der Inker, dem ich vor Jahren meine Haut anvertraut habe, hat dort sein
Handwerk von und bei jemandem erlernt, den man angeblich in aller Welt unter
dem Namen Joe, die Nadel kennt.
„Hallo-hooo“, flötet Nina und wirft sich
kurz darauf einem obszön gutaussehenden Mann, den ich auf Ende vierzig schätze,
an den Hals.
Dieser packt sie mit seinen vollständig
tätowierten Händen an der Taille und hebt sie auf den Tresen. „Nina? Wo hast du
meine Prinzessin gelassen?“
Kaum ist seine Stimme in ihre Ohren
gedrungen, fliegen Josephines Augen schon suchend durchs Studio und sie wird
zunehmend unruhig in meinem Arm. Ich gehe langsam auf Nina und den Adonis zu.
„Joe? Darf ich vorstellen? Das ist
Charlie, die Tagesmutter.“
Ich reiche dem Mann die Hand und lege den
Kopf schräg. „Joe? Joe, die Nadel?“
Er nickt und begutachtet bemüht
unauffällig den Teil meiner Tätowierung, der unter meinem Ärmel hervorschaut.
„Genau der.“
Ich halte seine Hand länger als nötig und
teile ihm mit einer entsprechenden Kopfbewegung mit: „Das ist von Sam...“
Mehr muss ich gar nicht sagen. Nicht mal
einen Nachnamen. In seinen eisblauen Augen blitzt eine Spur des Erkennens auf.
„Wusste ich’s doch. Wie geht es Sam?“
Ich zucke mit den Schultern. „Ich habe ihn
lange nicht mehr gesehen.“
Josephine wird noch unruhiger. Ihre
kleinen Hände werfen sich dem großen, schwarzhaarigen Mann entgegen.
Nina stöhnt. „Immer dasselbe. Die beiden
lieben sich. Wahrscheinlich“, fügt sie zur Erklärung hinzu, „weil Joe bei ihrer
Geburt dabei war.“
„Ohne umzukippen?“
„Selbstverständlich“, brummt Joe
konsterniert und nimmt mir den Säugling aus dem Arm. An meinem Ohr flüstert er:
„Unter uns: Ich stand kurz davor, schreiend wegzurennen.“
Ich kräusele schmunzelnd die Nase.
„Joe ist einer von denen, die Josephine
abholen werden, wenn ich mal nicht kann“, sagt Nina und schaut sich suchend um.
„Wo ist Elias?“
„Tätowiert gerade in der Zwei“, antwortet
Joe abwesend und küsst dem Säugling zärtlich die Nase.
„Mist“, schmollt Nina. „Ich wollte ihm
kurz Hallo sagen.“
Joe stöhnt genervt auf. „Evan ist gerade
drin.“
„Evan? Oh, da kann ich bestimmt...“
„Halt, mein Fräulein.“ Er wirft ihr einen
missbilligenden Blick zu. „Der lässt sich gerade den Satz des Pythagoras aufs
Gemächt tätowieren.“
„Waaas?“, kreischt Nina und reißt die
Augen auf.
„Kleiner Scherz“, zwinkert Joe im
Vorbeigehen und öffnet die Tür von Raum Zwei einen spaltbreit. „Evan? Die
Nervensäge möchte Elias kurz Hallo
sagen.“
Ich nehme gedämpft Stimmen wahr und stutze
plötzlich. Eine davon kommt mir merkwürdig bekannt vor.
„Nervensäge“, mault Nina beleidigt und
schiebt sich an Joe vorbei in den Raum.
Er schließt die Tür hinter ihr und kommt
mit Josephine im Arm auf mich zu geschlendert. „Darf ich dir einen Kaffee
anbieten, Charlie? Du ist doch okay?“
„Klar“, antworte ich und bin mir durchaus
bewusst, dass er mich genauestens unter die Lupe nehmen wird. „Und Kaffee wäre
gut. Ich nehme die Kleine so lange.“
„Hmhm.“
Mit Argusaugen beobachtet er, wie ich
Josephine aus der dicken Jacke befreie und ihr die Mütze abnehme. Ich lasse
mich nicht aus der Ruhe bringen, wuschele der Kleinen das Haar auf und setze
sie mir auf die Hüfte.
„Wie lange machst du den Job als
Tagesmutter schon?“, fragt Joe wie beiläufig.
„Ich fange in zwei Wochen damit an.“ Ich
kann sehen, wie er zusammenzuckt. „Joe? Ich bin ausgebildete Erzieherin und
habe siebenundzwanzig Jahre in einem Kinderhort gearbeitet.“
„Siebenundzwanzig Jahre?“ Er reicht mir
mit gerunzelter Stirn eine Tasse Kaffee.
„Möchtest du vielleicht meine Referenzen
sehen? Ich bin fünfundvierzig, Joe. Soll ich dir meinen Personalausweis
zeigen?“
Er seufzt. „Entschuldigung, Charlie. Aber
die Kleine...“
„Du brauchst dich für überhaupt nichts
entschuldigen“, beruhige ich ihn lächelnd. „Ich würde nicht anders handeln und
reagieren. Und ich kann sehr gut verstehen, dass dir der kleine Engel so ans
Herz gewachsen ist.“
„Meine Tochter“, nörgelt eine sichtlich
gereizte Nina, „ist genau so wenig ein Engel wie dein Sohn, Hunter.“
Joe schüttelt den Kopf. „Liebe Nina“, sagt
er leise, doch deutlich genug, dass ich jedes Wort verstehen kann. Seine
Kieferknochen mahlen. „Du weißt, dass du mit dem Feuer spielst. Hör auf damit.
Wenn Alex...“
„Ich mache doch gar nichts!“
„Tust du sehr wohl“, zischt er und baut
sich vor ihr auf.
Das würde selbst mich beeindrucken.
Nina schmollt und wendet sich an mich.
„Wollen wir gehen, Charlie? Joe kennst du ja jetzt.“
Ich nicke, werfe einen bedauernden Blick
auf meinen Kaffee und ziehe Josephine wieder an. In Familienstreitigkeiten
möchte ich lieber nicht involviert sein.
Joe gibt dem Säugling einen Abschiedskuss
auf die Stirn und mir ein Schulterklopfen. „Bis demnächst also, Charlie.“
„Bis demnächst, Joe.“
KAPITEL
zwei
„Min Deern“, lege ich am frühen
Donnerstagabend meiner besten Freundin vor ihrer großen Berlinreise via Skype
ans Herz, „wenn dir ein wunderschöner Mann mit glänzenden Augen, feuchten
Lippen und bebendem, heißen Körper begegnet, lass die Finger von ihm. Der hat
Grippe.“
Merrit kneift lachend die Augen zusammen.
„Ich werde darauf achten“, verspricht sie.
„Letztendlich kommt mein Mädchen doch
immer wieder zu mir zurück.“ Thore schiebt sich grinsend ins Bild und an
Merrits Platz.
„Natürlich tut sie das“, erwidere ich.
„Sie wohnt ja bei dir.“
„Weib“, schnauft Thore augenzwinkernd. „Du
verdirbst aber auch alles.“
Ich warte einen Moment, bis ich Merrit
außer Hörweite wähne. „Oh, ich denke, das machst du schon ganz allein, Thore.“
Er schaut sich nervös um. „Wie meinst du
das? Halt! Ich glaube, ich will es überhaupt nicht hören, oder?“
„Wer versucht, sich immer alle Türen offen
zu halten“, antworte ich und schaffe damit Raum für seine eigene
Interpretation, „wird sein Leben auf dem Flur verbringen. Denk mal darüber
nach, Thore.“
Merrit kommt wieder ins Bild und wirft mir
eine Kusshand zu. „Ich muss leider los, Charlie. Mein Zug wartet nicht.“ Sie
klopft Thore mit einem Regenschirm auf den Kopf. „Beeile dich. Du musst mich
zum Bahnhof fahren.“
Eigentlich doch das perfekte Paar,
denke ich und lehne mich grinsend zurück. Ein Blick auf die Uhr lässt mich
sofort wieder hochschrecken. Ich habe Nina versprochen, sie im Salon abzuholen
und mit ihr ins Sechsundsiebzig zu fahren, um Josephines Papa und Oma
kennen zu lernen. Oder sie mich.
Ich schlüpfe eilig in kniehohe Boots und
Parka, schnappe Schlüsselbund und Handtasche und parke keine zehn Minuten
später vor der Schnitte.
Rechts neben mir kommt unter lautem
Geknatter ein stahlgrauer Chopper zum Stehen. Und das Ende November! Ich staune
nicht schlecht. Der glückliche Besitzer – von beidem gehe ich nicht ganz
neidlos aus – schlendert in die Schnitte.
Ich habe zwar die nötige
Führerscheinklasse, mein Motorrad aber vor achtzehn Jahren gegen einen
Kleinwagen getauscht. Jetzt, geht es mir spontan durch den Kopf, könnte
ich mir ein Bike wieder und sogar zusätzlich zu meinem Minivan leisten.
Gedankenverloren betrete ich die Schnitte
und sehe, wie der Chopperfahrer im hinteren, wohl privaten Bereich des Salons
verschwindet, in dem sogleich ein glockenhelles Lachen erklingt. Kurz darauf
kommt mir ein fescher Rotschopf aus jenem Nebenraum entgegen. „Guten Tag. Ich
bin Greta. Was kann ich für Sie tun?“
Ah! Die Chefin. Lächelnd reiche ich ihr
die Hand. „Moin. Ich bin Charlie. Nina sagte mir, ich könne sie hier abholen.“
„Charlie? Die Tagesmutter?“ Sie ergreift
meine Hand und drückt sie. „Schön, Sie kennenzulernen. Ich sage Nina gleich
Bescheid, dass Sie hier sind. Evan?“
Aus dem Nebenraum antwortet jemand mit
einen tiefen, beinahe schon knurrenden „Hm?“
„Könntest du bitte mal Nina rufen?“
„Niiinaaa“, feixt die Stimme.
Greta rollt mit den Augen. „Sie hängt schon
wieder bei Elias rum. Rufe doch bitte mal nach oben, dass Charlie hier ist,
ja?“
Ich höre, wie sich jemand – vermutlich der
Fahrer des Choppers – von einem Tisch oder Tresen abstößt und aus dem Raum
tritt und bin neugierig, wie die Stimme aussieht. Allerdings wird meine
Aufmerksamkeit abrupt in eine ganz andere Richtung gelenkt: Die Salontür öffnet
sich und ein großer, blonder Mann tritt ein. Er hat eine Welpenleine in der
einen und eine schneeweise Hündin mit einem markanten schwarzen Ring um das linke
Auge in der anderen Hand.
Ich schnappe nach Luft. „Lotti?“
„Eigentlich Gregor“, sagt der Mann samtig.
„Und wer sind Sie?“
„Äh... Ch-cha-charlie“, stottere ich
verdutzt.
„Ch-cha-charlie klingt nett.“ Der Blonde
zwinkert mir charmant zu und setzt die Französische Bulldogge, die unverkennbar
aus der Zucht von Tante Ida stammt, zu meinen Füßen ab.
„Ja“, erwidere ich abwesend und gehe in
die Hocke, um Lotti zu streicheln.
Gregor tut es mir gleich. Er hat übrigens
die frühlingswiesengrünen Augen wie Greta. Zwar ohne die in Gold und Silber
schimmernden Sprenkel auf der Iris, aber dennoch von beinahe mystischer
Ausdruckskraft. Wohl deshalb muss ich spontan an Thor, den Donnergott denken.
Von der Augenfarbe mal abgesehen, gleicht Gregor dem Filmdarsteller Chris
Hemsworth tatsächlich bis aufs Haar.
Der Chopperfahrer schiebt sich an uns
vorbei. Ich sehe nur seine Beine und höre, wie er Greta küsst. Wohin auch
immer.
„Die Kleine weiß Bescheid. Kommt sofort.
Denke ich.“
Meine Nackenhaare stellen sich auf. Dieser
tiefe Bariton ist wie eine körperliche Empfindung auf meiner Haut. Wie das raue
Fell eines Wolfs streicht er über meine Nervenenden, begleitet von einem
unterschwelligen Knurren, das in meinem Nacken vibriert.
„Haben wir einen Termin?“ Gregor lenkt
mich schon wieder ab.
Ich mag nicht unhöflich sein, nur um meine
unerklärliche Neugier auf den Unbekannten mit der Wolfsstimme zu stillen. „Wir
nicht, nein.“
„Hm. Schade.“ Gregor schenkt mir ein
einnehmendes Lächeln. „Ch-cha-charlie.“ Wie zufällig streift er meine Hand, als
ich Lottis Brust kraule.
Greta geht ebenfalls in die Hocke und
schiebt ihren Kopf in Gregors Blickfeld. „Charlie ist Josephines Tagesmutter“,
erklärt sie so bedächtig, als wäre er ein Idiot. „Sie möchte Nina abholen.“
Besagte kommt zwei Sekunden später
schliddernd vor uns zum Stehen. „Da bin ich“, japst sie völlig außer Atem.
„‘tschuldigung.“
Letzteres war vermutlich an mich
gerichtet, weshalb ich nachsichtig mit den Schultern zucke. „Kein Problem. Ich
habe noch keine Falten bekommen.“
Gregor richtet sich auf und verabschiedet
Nina mit einem Wangenkuss.
„Grüße deinen Alexander von mir.“ Gretas
Ton verrät mir, dass hier irgendetwas so rund läuft wie ein Dreieck.
Dass ich damit gar nicht mal falsch liege,
macht Ninas schuldbewusste Miene deutlich.
Zwanzig Minuten später...
Der hoch gewachsene Mann Ende zwanzig
erinnert mit seinem kahl geschorenen Kopf, dem Dreitagebart und der Statur
eines Personaltrainers an eine gelungene Mischung aus Vin Diesel und Dwayne
'The Rock' Johnson. Er kommt sofort hinter dem Tresen hervor, als Nina und ich
das Sechsundsiebzig betreten.
Das Sechsundsiebzig war
ursprünglich ein Kaufhaus – mit großer Glasfront, einem Lager, Aufenthaltsraum
und Büro. Nils, der Besitzer und ältester Bruder von Nina, schloss eine
Marktlücke, indem er den alten Laden renoviert und so umgebaut hat, dass sich
nun in vorderster Front ein Café mit Bar befindet, während der Lagerraum zum
Frisörsalon und der Aufenthaltsraum zu einem Kosmetikstudio umgestaltet wurde.
„Hallo Charlie. Ich bin Alex. Josephines
Papa.“ Der offene Blick aus schokoladenbraunen Augen ruht auf meinem Gesicht.
„Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, heute hierher zu kommen.“
„Keine Ursache“, erwidere ich das Lächeln
und drücke seine warme Hand.
„Na, Prinzessin?“ Die Begrüßung zwischen
Nina und Alex hingegen fällt deutlich kühler aus. „Wie geht es Elias?“
„Gut, nehme ich an.“ Nina legt ihren
Mantel ab und hängt ihn über einen Barhocker.
„Nimmst du an?“ Alex
macht ein zweifelndes Gesicht. „Du willst mir tatsächlich erzählen, du hast
Elias heute noch nicht besucht?“
„Ich habe kurz Hallo gesagt“, keift sie. „Fängst du schon wieder an? Deine
blöde Eifersucht geht mir wirklich auf den Geist!“
Ich mache räuspernd darauf aufmerksam,
dass neben mir noch andere Gäste Zeuge des sich anbahnenden Beziehungsstreits
werden.
Alex schüttelt resigniert
den Kopf und wendet sich mit einem verkniffenen Lächeln wieder mir zu. „Mum
wird auch gleich hier sein. Was darf ich dir denn zu Trinken anbieten? Kaffee?
Tee? Espresso? Latte Macchiato? Oder...“
„Ein Pfefferminztee wäre prima. Danke“,
unterbreche ich ihn höflich und nehme auf einem der Barhocker Platz.
Derweil verschwindet Nina mit geschürzten
Lippen im Beautybereich des Sechsundsiebzig und kommt wenig später mit
einem David Beckham Double zurück.
„Guten Tag, Charlie.“ Er reicht mir die
Hand. „Ich bin Nils. Ninas großer Bruder und seit drei Monaten Ehemann von
Josephines Oma.“ Stolz klingt unüberhörbar in seiner Stimme mit und ich bin
gerührt.
„Moin Nils. Schön, den Rest der Familie
ebenfalls kennenzulernen“, sage ich und meine es auch so.
„Oh.“ Er verdreht die Augen und lacht
herzlich. „Noch lange nicht. Die ist nämlich ziemlich groß, musst du wissen.“
„Musst aber nicht alle kennen“, fügt Nina
mit einem Sauermilchgesicht hinzu und fängt sich dafür einen rügenden Blick vom
großen Bruder ein.
Alex stellt das dampfende Teeglas vor mir
ab und schiebt einen Teller Kekse hinterher. Es sind Spekulatius. Ich denke
wehmütig an Thore und Merrit und meine Nordsee.
„Stimmt etwas mit dem Tee nicht? Du
wolltest doch Pfefferminz?“ Er legt den Kopf schräg.
„Sieht mir eher nach Heimweh aus“, tippt
Nils ins Blaue hinein. „Jedenfalls schaut meine Fee so, wenn sie an Köln denkt.
Und den Dom.“
„Stimmt“, fasst Alex sich an die Stirn.
„Du kommst aus Bremen, nicht wahr?“
„So hörst du mir zu“, zischt Nina ihm ins
Ohr. „Das hatte ich dir gesagt.“
„Bremerhaven“, korrigiere
ich und tue, als hätte ich nichts gehört. „Das ist nur etwa sechzig
Autokilometer von Bremen entfernt.“
„Nordlicht ist Nordlicht.“
„Jo.“
„Jo?“ Alex schmunzelt. Schaut viel besser
aus als das nachdenkliche Gesicht, das er die ganze Zeit schon macht.
„Jo“, bestätige ich und füge erklärend
hinzu: „Im norddeutschen Raum ist das ein ganzer Satz, mit Subjekt, Prädikat
und Objekt.“
Er wirft lachend den Kopf in den Nacken.
„Du gefällst mir.“
„Da habe ich aber noch mal Glück gehabt“,
erwidere ich augenzwinkernd.
Sein Gesicht hellt sich noch mehr auf, als
eine mollige Frau mit wilden Locken, freundlichem Gesicht und einer sehr
ausgeprägten Irisheterochromie - so bezeichnet man die Verschiedenheit beider
Regenbogenhäute durch eine Störung der Pigmentierung; ihre rechte Iris ist
taubenblau, die linke olivgrün – das Sechsundsiebzig betritt. Aus dem
Kinderwagen vor ihr strahlt uns die rotnasige Josephine an.
„Das ist Fee“, beugt Alexander sich über
den Tresen dicht an mein Ohr. „Meine Mum.“
Ich rutsche vom Barhocker, um sie zu
begrüßen.
Während Fee aus ihrem Mantel schlüpft und
anschließend mit ausgestreckter Hand auf mich zukommt, kann ich Nina hinter
meinem Rücken keifen hören.
„Baggerst du gerade die Nanny an?“
„Du spinnst ja.“ Alexander sagt das
überraschend ruhig.
„Wieso? Fünfundvierzig Jahre. Hübsch. Ist
doch genau dein Beuteschema.“ Offensichtlich möchte Nina ihn provozieren.
Gelingt ihr allerdings nicht. „Wieso?“,
wiederholt Alex. „Weil sie unsere Nanny ist. Und weil ich nur dich liebe. Auch
wenn du es mir gerade ziemlich schwer machst, Prinzessin.“
Zugegeben, ich habe gelauscht. So konzentriert,
dass ich beinahe erschrecke, als Fee direkt vor mir steht und mit den Augen
rollt.
„Sie streiten schon wieder“, seufzt sie
betrübt und drückt meine Hand fester. „Entschuldigen Sie, dass Sie das gleich
mitbekommen müssen.“
Ich winke ab. „Um ehrlich zu sein, bin ich
recht froh, wenn ich das soziale Umfeld meiner Tageskinder ungefähr kenne. Es
wäre ganz schlecht, wenn ein Elternpaar mir die heile Welt vorgaukelt und ich
mich nachher wundern muss, warum der Sohn oder die Tochter plötzlich auffällig
wird.“
Fee nickt zustimmend und hebt Josephine
aus dem Kinderwagen. „Nina ist eben noch sehr jung und ich glaube...“ Sie
zögert und dreht sich zu mir um. „Wollen wir nicht du sagen?“
„Gerne.“
Nachdem Alexander augenscheinlich eine
Nachricht bekommen hat, die ihm nicht besonders gut gefällt, pfeffert er das
Smartphone neben den Kaffeevollautomaten. Leise fluchend kommt er um den Tresen
und begrüßt Fee mit Wangenkuss, bevor er Josephine aus ihren Armen pflückt.
„Hallo mein kleiner Engel“, haucht er zärtlich und küsst ihre Stirn.
„Ging es wieder um...“ Ein stummes
Kopfschütteln von Alex reicht, um Fee zum Schweigen zu bringen.
Etwas beklommen wende ich mich ab und
nippe an meinem Tee. Es reicht vorerst, zu wissen, dass die Harmonie in der
Beziehung Edel/Ander gerade etwas überstrapaziert ist.
„Elias kommt nach meiner Schicht vorbei.“
Alex reibt sich angespannt die Stirn. „Er möchte mit mir reden.“
Fee schluckt hörbar. „Kommt Joe auch?“
„Mum“, antwortet er und übergibt ihr
Josephine. „Das ist eine Sache zwischen mir und Elias. Und Nina.“
Fee seufzt und gibt Josephine an mich
weiter. „Joe könnte vielleicht auf Elias einwirken.“
„Das Problem“, erwidert Alex mit einer
deutlich in seinem Ego verletzten Miene, „ist nicht Elias. Das geht allein von
Nina aus.“
„Bist du dir da sicher? Ich meine, ich mag
Elias. Aber...“
„Sweetie?“ Nils kommt gerade um die Ecke,
schlingt seine Arme um Fees üppige Hüfte und küsst sinnlich ihren Hals. „Wir
reden hier von Prinzessin Nina. Ich glaube, dem ist nicht sehr viel hinzuzufügen,
oder?“
„Hm.“
„Genau.“ Alex schaut auf. Eine Handvoll
Gäste betritt das Sechsundsiebzig. Er drückt seiner Tochter noch einen
Kuss auf die Stirn und verabschiedet sich hinter den Tresen.
Fee und ich nutzen die Zeit für eine
ausgedehnte Unterhaltung, während Nina und Nils im Beautybereich wie
allabendlich noch eine Stunde Praxis und Theorie pauken.
„Auch auf die Gefahr, dass ich mich
wiederhole, Charlie. Aber du bist wirklich ein Glücksfall für uns.“ Sie
streichelt Josephine, die in meinem Arm eingeschlafen ist, sanft den Rücken.
„Oh, das will ich hoffen“, antworte ich
erfreut und werfe einen Blick auf die große Uhr über der Bar. „Und ich bin echt
glücklich, dass ich Josephine betreuen darf. Ich habe die Kleine jetzt schon
richtig ins Herz geschlossen.“
„Ich glaube, das beruht auf
Gegenseitigkeit.“
„Hmhm. Allerdings trägt sie Windeln. Ich
nicht.“
Fee lacht. So herzlich und erfrischend,
dass mir ganz warm ums Herz wird. Aber auch um die Büx, wenn ich nicht bald...
„Die Toiletten sind dort hinten.“
„Vielen Dank. Und dann“, füge ich eilig
hinzu und übergebe ihr behutsam die schlummernde Josephine, „mache ich mich
aber auf den Heimweg.“
Als ich zurückkomme, schnallt Fee ihre
Enkelin gerade in einer Babyschale an.
„Wir gehen jetzt auch“, sagt sie und
drückt mich herzlich. „Danke, dass du heute Abend hier warst und wir dich schon
kennenlernen konnten.“
„Ganz meinerseits, Fee.“ Ich nicke ihr
lächelnd zu und schaue mich nach Nina und Alex um, damit ich mich auch von
ihnen verabschieden kann.
Fee räuspert sich peinlich berührt. „Nina
sitzt schon im Auto und schmollt. Alexander ist mit Elias im Büro.“
„Ach, so.“ Ich gebe Nils die Hand und
mache mich nach einem aufschlussreichen Nachmittag endlich wieder auf den Weg
nach Hause.
Mein neues Zuhause.
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